Winnenden. .
Ein Gewaltvideospiel hat offenbar Tim K. zu seinem Amoklauf inspiriert. Der 17-Jährige war wohl „süchtig“ nach Spielen wie „Counter Strike“. Derweil wird gegen eine Betreuerin wegen des Verdachts der Falschaussage ermittelt.
Die Amoktat von Winnenden und Wendlingen im März vergangenen Jahres ist möglicherweise einem Gewaltvideospiel nachempfunden worden. Die Tat sei ähnlich wie in einem der Videospiele abgelaufen, die der Amokläufer Tim K. jahrelang gespielt habe, sagte sein bester Freund am Dienstag auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters im Prozess gegen den Vater von Tim K. vor dem Landgericht Stuttgart.
In Spielen wie „Counter-Strike“, die der 17-jährige Täter seit der siebten Klasse oft stundenlang gespielt habe, gehe es unter anderem darum, Türen aufzumachen, zu schießen und Geiseln zu nehmen. Dabei seien die Lieblingswaffen des 17-Jährigen - ein Maschinengewehr und eine Beretta-Pistole - ähnlich der Tatwaffe gewesen, fügte der 18-Jährige hinzu, der mit Tim K. seit der zweiten Klasse befreundet war. Am Nachmittag hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die Betreuerin der Familie von Tim K. unter anderem wegen des Verdachts der Falschaussage eingeleitet.
Der Vater von Tim K. muss sich seit Mitte September vor Gericht verantworten, weil er laut Anklage seinem Sohn Zugriff auf eine erlaubnispflichtige Schusswaffe sowie Munition ermöglicht hat. Der 17 Jahre alte Schüler hatte am 11. März 2009 bei einem Amoklauf in Winnenden und seiner anschließenden Flucht in Wendlingen 15 Menschen und anschließend sich selbst getötet. Viele der Opfer starben durch Kopfschüsse. Die Tatwaffe hatte er aus dem Schlafzimmer der Eltern entwendet.
„Tim war regelrecht süchtig nach Videospielen“
Der 18-Jährige Freund betonte, Tim K. sei beim Videospielen „richtig aufgegangen“. Er habe bei seinen Spielfreunden oft damit angeben, dass er der beste Spieler sei, weil er seine Gegner im Spiel oft mit einem Kopfschuss getötet habe. In einer polizeilichen Vernehmung vom März 2009, mit der der Vorsitzende Richter Rainer Skujat den Zeugen während der Vernehmung konfrontierte, hatte der Freund zudem angegeben, Tim K. sei in der neunten und zehnten Klasse regelrecht süchtig nach Gewaltvideospielen gewesen.
Der Freund beteuerte, er habe von der Amoktat nichts gewusst. Seinen Worten zufolge hat Tim K. keine Hinweise darauf gegeben, dass irgendetwas nicht stimme. Sogar einen Tag vor der Bluttat, als er den Amoktäter zum letzten Mal traf, sei ihm nichts Außergewöhnliches aufgefallen.
Widersprüche über den Zugang zum Waffentresor
Der 18-Jährige verwies bei seiner Vernehmung zudem auf einen Besuch im Hause des Angeklagten zwischen 2006 und 2007, bei dem er sich die Waffen des Vaters aus einem im Wohnzimmer stehenden Waffentresor ansehen durfte. Allerdings machte er widersprüchliche Aussagen darüber, wer den Waffentresor aufmachte. Während der polizeilichen Vernehmung von März 2009 soll er ausgesagt haben, Tim K. habe ihm „richtige Waffen“ zeigen wollen und habe den Tresor geöffnet. Vor Gericht konnte sich der 18-Jährige jedoch nicht mehr an diese Details erinnern.
Am Nachmittag hatte die Betreuerin der Familie des Amokläufers ihre frühere Zeugenaussage zurückgenommen, die Eltern seien über Mordfantasien ihres Sohnes informiert gewesen. Unter Tränen sagte die ehrenamtliche Helferin, die die Familie des Amokläufers noch Monate nach der Tat betreute, sie habe sich erst nach der Vernehmung am 11. November wieder daran erinnert, dass die Eltern von den Mordfantasien ihres Sohnes erst am 4. August 2009, also rund fünf Monate nach der Tat, aus einem psychiatrischen Gutachten erfahren hätten. Eine Kopie dieses Gutachtens habe sie von den Eltern von Tim K. bekommen und zusammen mit anderen Akten aus dem Prozess bis heute aufbewahrt. Mit der Übergabe der Akten hätten die Eltern ihr Entsetzen und ihr Zorn über die Falschaussagen im Gutachten zum Ausdruck bringen wollen, sagte die Betreuerin.
Tränen des Entsetzens in Winnenden
Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin ein Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung und des Verdachts der Falschaussage gegen die Frau ein. Die Frau müsse entweder bei ihrer ersten oder bei ihrer zweiten Aussage die Unwahrheit gesagt haben, sagte die Staatsanwaltschaft zur Begründung. Zudem sollte die Wohnung der Notfallseelsorgerin von der Polizei nach relevanten Akten durchsucht werden.
Befangenheitsantrag gegen Psychiater angenommen
Zuvor hatte die Kammer einen Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen einen psychiatrischen Sachverständigen für begründet erklärt. Der Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums Stuttgart, der mit der Erstellung eines Persönlichkeitsprofils des Amokläufers beauftragt war, wurde somit vom Prozess ausgeschlossen. Hintergrund für den Antrag war, dass der Psychiater entgegen einer Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft zur Erstellung des Gutachtens eines der Opfer des Amoklaufs psychologisch betreute. Die Verteidigung hatte erklärt, dieser Vorgang lasse Zweifel an der Unparteilichkeit und Unbefangenheit des Chefarztes aufkommen. Das Gutachten sollte darüber Aufschluss geben, ob der Angeklagte den Amoklauf oder ein ähnliches Tötungsdelikt hätte vorhersehen können beziehungsweise müssen. (dapd)