Berlin. . Nach dem Scheitern der Gespräche mit der Opposition könnte die umstrittenen Hartz-IV-Reform am Freitag doch den Bundesrat passieren. Die Grünen im Saarland prüfen eine Zustimmung. Der Bundesregierung fehlt ein Bundesland zur nötigen Mehrheit.
Die Bundesregierung hat möglicherweise doch noch Chancen, ihre Hartz-IV-Reform am Freitag im Bundesrat durchzubringen. So besteht bei den Grünen im Saarland offensichtlich weiter Klärungsbedarf. Der Landesvorstand wolle am Donnerstagabend in einer Sondersitzung über die Vorschläge der Bundesregierung beraten, sagte eine Parteisprecherin auf dapd-Anfrage.
Am Mittwoch hatte Grünen-Landeschef Hubert Ulrich noch betont, die vorliegenden Angebote der Bundesregierung seien "nicht zustimmungsfähig". Demnach würde sich das Saarland entsprechend dem Koalitionsvertrag der schwarz-gelb-grünen Landesregierung im Bundesrat enthalten.
Als Hauptkritikpunkte am vorliegenden Entwurf hatte Ulrich die geplante Höhe der Anhebung für die "Hartz IV"-Sätze und die Regelung für Leiharbeiter genannt. Zugleich hatte er Gesprächsbereitschaft bei verbesserten Angeboten angedeutet.
Für die Abstimmung im Bundesrat könnten erneut die drei Stimmen aus dem Saarland den Ausschlag geben. Ende vergangenen Jahres hatte sich das Land enthalten, weil die Grünen die Reformen ablehnten.
Lindner mahnt Bundesländer
FDP-Generalsekretär Christian Lindner hatte am Donnerstagmorgen die Ministerpräsidenten der Länder davor gewarnt, die Hartz-IV-Reform im Bundesrat scheitern zu lassen. „Das Angebot liegt jetzt auf dem Tisch. Und wenn es jetzt nicht angenommen wird, werden die Bedingungen nächstes Mal andere sein“, sagte Lindner dem „Hamburger Abendblatt“.
Lindner erinnerte an die Verantwortung der Länder für ihre Kommunen: Es gehe um ein Bildungspaket für Kinder und insgesamt zwölf Milliarden Euro für die klammen Kommunen. „Wenn es die Ministerpräsidenten damit ernst meinen, dass sie ihren Kommunen helfen wollen, sollten sie hier nicht ablehnen“, sagte der FDP-Generalsekretär.
Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, hat der schwarz-gelben Bundesregierung eine Absage für ihre Hartz-IV-Reform erteilt. Er werde sich am Freitag im Bundesrat nicht über die Absprachen mit seinem Koalitionspartner SPD hinwegsetzen, sagte Böhmer der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstagausgabe). Die finanziellen Offerten aus Berlin zur Entlastung der Kommunen seien zwar verlockend. Dies ändere aber nichts an dem Grundsatz: „Wer in einer Regierung gemeinsam Verantwortung trägt, muss auch gegenseitig berechenbar bleiben.“
Böhmers Koalitionspartner, Vize-Ministerpräsident und Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD), kündigte an, Sachsen-Anhalt werde sich im Bundesrat bei der Abstimmung der Stimme enthalten. "Das abschließende Gespräch mit CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer steht noch aus, aber wir sind uns einig, dass es keine Zustimmung geben wird", sagte Bullerjahn der "Leipziger Volkszeitung" (Donnerstagsausgabe). Bullerjahn verwies zur Begründung darauf, "dass die versprochene Kostenentlastung für die Kommunen bei der Grundsicherung im Alter schon zugesagt ist und sowieso kommen wird". Außerdem dürfe kein Land den Eindruck erwecken, "es sei käuflich mit Blick auf eine Abstimmung im Bundesrat".
Ein Bundesland fehlt bei Zustimmung
Nach dem Scheitern der Vermittlungsgespräche mit SPD und Grünen fehlt CDU und FDP für eine Mehrheit in der zweiten Kammer die Zustimmung von mindestens einem Bundesland. FDP-Politiker haben angedeutet, man könne versuchen, Koalitions-Regierungen wie die im Saarland, Thüringen oder Sachsen-Anhalt auf die eigene Seite zu ziehen. Die Bündnisse auf Länderebene haben für den Fall einer Uneinigkeit in der Regel aber eine Enthaltung im Bundesrat verabredet.
Nach dem Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen will der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mögliche Klagen von Gewerkschaftsmitgliedern unterstützen. „Das Verfahren der Bundesregierung ist verfassungswidrig und wir werden uns nicht scheuen, das vom Bundesverfassungsgericht noch einmal bestätigen zu lassen“, heißt es in einem Schreiben von DGB-Chef Michael Sommer an Mitarbeiter seiner Organisation, wie die „Passauer Neue Presse“ berichtet.
Sommer gibt darin der schwarz-gelben Koalition die Schuld am Scheitern der Hartz-IV-Reform: „Ich bedauere dieses Scheitern zutiefst, weil die Bundesregierung wieder einmal Fortschritte bei der Bekämpfung von Niedriglöhnen und Armut blockiert hat. Meine Sorge ist, dass dadurch die Politik insgesamt noch mehr an Ansehen verliert.“
Das Bild, das die Bundesregierung abgebe, sei „verheerend“. Sie sei immer schnell dabei, wenn es darum gehe, die Interessen ihrer Wählergruppen zu bedienen: „Ein Atomkonsens ließ sich in wenigen Stunden finden, den armen Menschen im Land verweigert diese Regierung jegliche Unterstützung.“
Beck wirft Bundesregierung "Betrugsversuch" vor
Im Ringen um die Hartz-IV-Reform hat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) der Koalition einen "Betrugsversuch" vorgeworfen. Die Zusage, im Falle einer Verabschiedung der Reform durch den Bundesrat die Kosten für die Grundsicherung im Alter zu übernehmen, sei schon einmal gemacht worden, sagte Beck am Donnerstag im Deutschlandfunk und sprach von "einem vergifteten Paket". Zugleich signalisierte er Entgegenkommen, sollte die Bundesregierung beim Regelsatz nachbessern und eine Gegenfinanzierung für das Bildungspaket anbieten.
In der vorliegenden Form werde sein Land der Reform am Freitag im Bundesrat jedoch nicht zustimmen, da die Kommunen über den Tisch gezogen werden sollten, betonte Beck. "Ich glaube, dass es eines neuen Anlaufs bedarf. Dafür werde ich mich einsetzen", fügte er hinzu.
Der SPD-Politiker warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "Sturheit und Parteitaktik" vor. Die Kanzlerin habe sich geweigert, Gespräche mit den Ländern und der Opposition zu führen. Hauptverantwortlich für das Scheitern der Verhandlungen sei allerdings Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die ihre Vorschläge zur Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils aus dem vergangenen Jahr erst im Herbst vorgelegt habe. "Entweder sie wollte uns unter Druck setzen oder es war Streit in der Koalition", sagte Beck. Dies sei der Grund gewesen für den Zeitdruck "und das Chaos, das wir jetzt hier haben". Auch sei die Koalition zerstritten gewesen.
Der SPD-Politiker sprach sich dafür aus, zumindest die von der Koalition in Aussicht gestellte Erhöhung des Regelsatzes um fünf Euro rückwirkend zum 1. Januar auszuzahlen. "Denn eine begünstigende Leistung kann man auch im Vorgriff auf eine gesetzliche Regelung auszahlen", sagte der SPD-Politiker.(dapd/rtr/afp)