München. . Auf offener Bühne wirken die vielen Bekundungen der Anteilnahme des Westens an dem, was gerade in Ägypten geschieht, seltsam verkrampft. Man sollte ruhig laut und undiplomatisch sagen, dass man diesen Weg nach Kräften unterstützen wird. Eine Analyse.
Angela Merkel will nicht. Hillary Clinton will nicht. Guido Westerwelle sowieso nicht. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz bemühen sich viele Staats- und Regierungschef an diesem Wochenende, die an sie gerichteten Erwartungen zu bremsen. Aus der rasanten Entwicklung in Ägypten soll das Tempo heraus; zumindest rhetorisch.
Keine direkte Einmischung in innerägyptische Personalvorstellungen für eine Regierung nach Mubarak.
Keine direkte, unmissverständliche Rücktrittsaufforderung an den 82-Jährigen.
Kein Plädoyer für möglichst schnelle Neuwahlen im Land am Nil.
Das war der defensive Tenor der allermeisten Wortmeldungen.
Halbherzigkeiten, die viele Demonstranten auf dem Tahrir-Platz von Kairo nicht verstehen werden. Sie fühlen sich allein gelassen von einem Westen, der gewiss hinter den Kulissen Strippen zieht und an Weichenstellungen für eine wie auch immer geartete demokratisch grundierte Entwicklung beteiligt ist.
Nur: Auf offener Bühne wirken die vielen Bekundungen der Anteilnahme an dem, was gerade in dem bevölkerungsreichsten Land des Nahen Osten geschieht, seltsam verkrampft.
Verhaltene Rhetorik
Es gibt Augenblicke in der Geschichte, in der Neues ungewöhnlich schnell Gestalt annimmt und eine ganze Region durchgeschüttelt wird. In Europa ist dies nach dem Zweiten Weltkrieg und dann noch einmal nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geschehen. Jetzt, wo der Nahe und Mittlere Osten in eine solche Phase eintreten, wirkt die Rhetorik der USA wie der Europäischen Union ausgesprochen verhalten. Darum wirkte gerade Angela Merkels freundliche Mahnung an die „Revolutionäre“ am Nil, es ruhig angehen zu lassen, aus der Zeit gefallen. Hat Merkel ihre deutsch-deutschen 1989er-Tage schon vergessen?
Wenn es richtig ist, was Außenministerin Hillary Clinton in München gesagt hat, wenn ein „perfekter Sturm mächtiger Entwicklungen“ gerade dabei ist, alte Gewissheiten am südlichen Tor zu Europa hinweg zu fegen – dann tut aktive Unterstützung Not. Wer sie versagt, erweckt den Eindruck, als sei er der Vorzüge des eigenes Systems nicht ganz sicher.
Eindeutiges Signal notwendig
Dabei geht es nicht um die Frage, wann und wohin Mubarak gehen muss, damit Ägypten neu anfangen kann. Es geht auch nicht um neokoloniale Besserwisser-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines zutiefst zerrissenen Landes. Schon gar nicht um einseitige Parteinahme für diesen oder jenen Kandidaten, der sich anschickt die Nach-Mubarak-Ära einzuleiten. All das verbietet sich von selbst. Man muss es nicht ständig betonen.
Es geht aber um ein machtvolles und eindeutiges Signal an all jene, die zwischen Algier und Riad in ihren Systemen die Fesseln der Bevormundung und Demütigung abstreifen wollen und dafür notfalls ihr Leben geben würden.
Ein solches Signal könnte in einem gigantischen Marshall-Plan für Bildung, wirtschaftliche Entwicklung, Demokratisierung und Liberalisierung der arabischen Welt bestehen, an dem sich dies und jenseits des Atlantiks viele über sehr lange Zeit beteiligen müssten.
Unterstützung ohne Vorbehalte
Ein solcher Plan könnte die Kraft eines verlockenden Versprechens entfalten. Der Westen, und damit Amerika und die Europäische Union, legen eine beständige Nabelschnur in die Region, auf dass der noch ungestüme Freiheitswille gedeihen kann. Solange, bis er sich und die Menschen selber tragen kann. Aus sich heraus, ohne Hilfe zur Selbsthilfe, kann Ägypten das nicht schaffen.
Gewiss, im Nahen Osten mit seinen vielen leicht entflammbaren Unruheherden ist die Gefahr eines schnellen Scheiterns stets gegeben. Echte Lösungen benötigen darum viel Zeit und von allen Seiten Geduld. Das gilt insbesondere für jede Demokratiebewegung in der arabischen Welt. Jeder Vorfrühling kann schnell wieder zum Winter der Despotie werden, wenn alte Regime zurückschlagen oder sich neue im Tarnkleid des ehrbaren Demokraten an die Spitze schleichen. Unabhängige Institutionen und eine freiheitliche Kultur, die Grundbedingungen für jede funktionierende Demokratie, entwickeln sich - siehe Deutschland nach der Nazi-Zeit - nur langsam.
Nur: Man muss beizeiten damit anfangen. Und man darf ruhig laut und undiplomatisch sagen, dass man diesen Weg nach Kräften unterstützen wird. Ohne Vorbehalte.