Essen. . Die Anwältin des mutmaßlichen Mirco-Mörders hat den Fall abgegeben. Abneigung gegen Täter und Tat? Angst vor öffentlichem Druck? Sie schweigt. Drei Strafverteidiger erklären, warum es dennoch wichtig ist, Kindsmörder gut zu verteidigen.

Olaf H. stand plötzlich ohne Anwalt da. Seine Wahlverteidigerin hat das Mandat niedergelegt. Doch lange musste der mutmaßliche Mörder des kleinen Mirco aus Grefrath nicht warten. Mehrere Rechtsanwälte hatten sich schon bereit erklärt, den Fall zu übernehmen. Und laut „Bild.de“ gibt es jetzt einen Nachfolger: ein 52-jähriger Anwalt aus Mönchengladbach, selbst Vater zweier Kinder. Warum die erfahrene Strafverteidigerin aus Krefeld aufgegeben hat, bleibt unklar. Sie schweigt zu ihren Motiven. Plagten sie Gewissensbisse? War die Tat in ihren Augen dann doch zu grausam, die Gefühle des Täters zu abgründig?

„Wenn sie solche Fragen stellen würde, wäre sie völlig unprofessionell“, sagt Volker Schröder. „Dann sollte sie lieber Kaufhausdiebe statt Mörder verteidigen.“ Der Rechtsanwalt aus Essen weiß, wovon er spricht. Er hat schon einige Verbrecher vertreten. In seinem schlimmsten Fall war das Opfer nur ein Jahr älter als Mirco. Der elfjährige Ali aus Dorsten wurde von seinem Peiniger brutal vergewaltigt, erdrosselt und dann in einer Tiefkühltruhe versteckt. Auf der Anklagebank gab Strafverteidiger Schröder auch das Schutzschild für seinen Mandanten. Er saß zwischen dem Täter und der Familie des Jungen. Es gab Sorge vor einem Racheakt im Gerichtssaal. „In so einem Fall muss ich meine Emotionen verdrängen“, sagt Schröder. „Ich darf mich nicht mit dem Opfer identifizieren.“ Sachlichkeit und Abstand müsse er wahren - auch zur Öffentlichkeit.

Anwalt bekommt Drohbriefe

Mord-Opfer Gülsüm: „Ein schönes, weibliches, modernes Gesicht sollte ausgelöscht werden“, sagte der Richter in der Urteilsbegründung.  Foto: ddp
Mord-Opfer Gülsüm: „Ein schönes, weibliches, modernes Gesicht sollte ausgelöscht werden“, sagte der Richter in der Urteilsbegründung. Foto: ddp © ddp

Diese steht meist klar auf einer Seite. Der Mörder wird oft als Teufel, der Anwalt als sein Helfershelfer angesehen. Hans Reinhardt von der Kanzlei Benecken aus Marl hat im Laufe seiner Jahre als Strafverteidiger schon viele Drohbriefe bekommen. Sie füllen inzwischen eine eigene Akte. 2001 verteidigte er den Mörder des 9-jährigen Sedat aus Duisburg. Auch im „Gülsüm-Prozess“ 2009 in Kleve saß er an der Seite des Angeklagten, jenes kurdischen Vaters, der den Mord an seiner Tochter in Auftrag gegeben haben soll, weil sie schwanger war und anders leben wollte.

Reinhardt hat damals eine Mail bekommen, die ihn beunruhigt hat. „Wie verkommen muss man sein, um so einen menschlichen Abschaum zu verteidigen“, stand darin. Und: „Es sollte jemand auf die herzliche Idee kommen, diesem Stück Scheiße eine Kugel in den Kopf zu schießen und ihnen gleich mit.“ Die Kanzlei erstattete Anzeige, doch der Absender war unauffindbar.

„Auch ein Mörder hat Anspruch auf eine gute Verteidigung“

Dennoch hat das alles Reinhardt nie in einer Überzeugung erschüttert: „Jeder Mensch wird gut geboren. Da muss viel passiert sein, damit jemand zu so einer scheußlichen Tat fähig ist.“ Einem Strafverteidiger sollte nichts Menschliches fremd sein, sagt auch Rüdiger Deckers aus Düsseldorf. Der Rechtsanwalt hat schon einige Sexualstraftäter verteidigt, kürzlich einen Pater im Missbrauchsfall im Kloster Ettal. „In bestimmten Situationen können Menschen dazu neigen, Dinge zu tun, die keiner von ihnen erwartet hätte und die ihnen auch selbst fremd sind“, sagt Deckers. „Niemand könne sich davon freisprechen, zu so etwas fähig zu sein.“ Es gehe darum, den Täter in einer spezifischen Lebenssituation zu verstehen, nicht darum, ihn zu entschuldigen.

„Auch ein Mörder hat Anspruch auf eine gute Verteidigung, das ist in unserem Rechtsstaat so vorgesehen“, sagt Schröder. Gerade wenn die Emotionen wie im Fall Mirco hochkochen würden, sei es Aufgabe des Verteidigers, aus seiner professionellen Distanz heraus eine rationale Betrachtung einzufordern, sagt Deckers. Die Boulevard-Medien würden Mircos mutmaßlichen Mörder jetzt schon als Monster abstempeln. „Bei einer derartigen Pauschalisierung muss der Anwalt der Gegenpol sein.“

Im Normalfall steht Straftätern ein Wahlverteidiger zur Seite. Nur wenn sich niemand findet, bekommen sie einen Pflichtverteidiger zugeteilt. Schröder hat in der Regel keine Probleme damit, die Verteidigung eines Sexualstraftäters oder Mörders zu übernehmen. Nur mit rechtsextremen Tätern habe er Schwierigkeiten, sagt der Anwalt. Mit seinem aktuellen Fall hat er auch seine Familie irritiert. Er verteidigt einen Mann, der seine eigene Mutter getötet haben soll. „Wir leben nun mal nicht in einer Rosamunde-Pilcher-Welt“, sagt Schröder. „Das ist die Realität.“