Essen. . Das Ruhrgebiet ist auf gutem Wege, sich zu einer führenden Wissenschaftsmetropole in Europa zu entwickeln. Es bestehe jedoch noch erheblicher Nachholbedarf, etwa bei der Hochschulfinanzierung und der Zahl der Forschungsinstitute.
Was kann das Ruhrgebiet dafür, dass es aus Kohle und Stahl geboren wurde? Da hatten andere eine hübschere Kinderstube, München etwa oder Zürich, wenn man will auch Berlin. Ein Vergleich dieser Regionen kann daher nur ungerecht ausfallen. Doch schließlich will sich das Ruhrgebiet bei Wissenschaft und Forschung mit den Besten messen und nicht etwa mit, sagen wir, Paderborn oder Greifswald.
Wo steht das Ruhrgebiet heute? Die Stiftung Mercator beauftragte Prof. Detlef Müller-Böling, ehemaliger Rektor der Universität Dortmund und langjähriger Leiter der Hochschuldenkfabrik CHE (Centrum für Hochschulentwicklung), eine umfassende Studie anzufertigen. Sie verglich die wissenschaftlichen Metropolregionen München, Zürich und Berlin mit dem Ruhrgebiet, stützte sich auf Daten und Experten-Interviews und legt Stärken und Schwächen bloß.
Fazit: Das Revier ist eine „Herausforderer-Region“. Das klingt gut, das klingt nach Aufholjagd und Optimismus.
Und der Titel ist ja nicht verkehrt. Die ersten Universitäten wurden in den 60er-Jahren gebaut, in Bochum, Dortmund, dann in Essen und Duisburg. Vorher gab es: nichts. Wo heute nahe der TU Dortmund Europas größter Technologiepark mit 235 High-Tech-Unternehmen und 8400 Beschäftigten blüht, war vor 1985 noch grüne Wiese. Die Startbedingungen könnten also ungleicher kaum sein.
Weniger Professoren
Fangen wir mit den Minuspunkten der Ruhrgebiets an, besser: den Herausforderungen. Das Ruhrgebiet hat zu wenig Professoren für zu viele Studierende. Während in Zürich 33 Studenten von einem Professor betreut werden und in München 50, sind es hier 65.
Die Hochschulen bekommen weniger Geld. Steht den Hochschulen in Zürich, Berlin und München ein jährlicher Haushalt von 1,9 bis 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung, liegt er im Ruhrgebiet bei 1,4 Milliarden. Es gibt deutlich weniger außeruniversitäre Forschungsinstitute, Max-Planck oder Fraunhofer. In Berlin sind es 46, in München 21, an der Ruhr: zwölf. Somit fließen auch deutlich weniger Fördermittel des Bundes an die Ruhr.
Hohe Abwanderungsquote
Auch beim Bevölkerungspotenzial liegt das Ruhrgebiet hinten, die Abwanderungsquote ist hoch. Und, nicht zu vergessen, Zürich, München und Berlin gelten als „flippiger“, so Müller-Böling. Sie haben Studenten und Forschern ein attraktiveres Umfeld zu bieten, es gibt mehr Ärzte pro Kopf, mehr Künstler in der Stadt und eine bessere Kinderbetreuung.
Nun die Stärken: Trotz der Abwanderungen hat das Ruhrgebiet nach der Studie den höchsten Anteil junger Menschen zwischen sechs und 18 Jahren. Hier liege ein „enormes Potenzial“ für den wissenschaftlichen Nachwuchs, man müsse es aber heben. Bei der Einwerbung von Forschungsmitteln in den Ingenieurwissenschaften ist das Ruhrgebiet führend – in anderen Bereichen fällt es indes schwer ab. Was auch zählt: Zwölf der hundert größten Unternehmen sitzen im Revier, in Berlin sind es nur zwei. Hier sind stärkere Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft denkbar. Und in der Lehre leisten die Ruhr-Hochschulen Hervorragendes.
Neue Arbeitsplätze
Was haben die Menschen hier von Wissenschaft und Forschung? Sie zieht zum Beispiel Unternehmen an, wie den Blackberry-Hersteller RIM, der sich nahe der Uni Bochum niederließ. Sie entwickelt neue Produkte, etwa in der Nanotechnik, die Arbeitsplätze schaffen. Auf der Intelligenz des Nachwuchses beruht unser Wohlstand. Sichtbar wird dies am Bruttoinlandsprodukt. Das Volkseinkommen pro Kopf liegt in Zürich bei 47 475 Euro. In München bei 60 789 Euro – das Ruhrgebiet erzielt 26 052 Euro. Zwar steht Berlin noch schlechter da – doch will man sich ja mit den Besten messen.
Bildung und Forschung fördern demnach die Wirtschaft. Viele Unternehmen suchen dringend nach qualifizierten Kandidaten, um freie Posten zu besetzen. „Das Ruhrgebiet hat das Potenzial, sich zu einer der größten Wissenschaftsregionen in Deutschland zu entwickeln, wenn die Politik Hochschulen und Forschungseinrichtungen konsequent unterstützt“, sagt der Geschäftsführer der Stiftung Mercator, Bernhard Lorentz.
Empfehlungen für den Aufstieg
Aber wie? Die CHE-Studie nennt konkrete Bedingungen für den Aufstieg. Zunächst: Geld. Viele Bundesmittel fließen an der Region vorbei, sagt Studienleiter Detlef Müller-Böling, hier müsse das Ruhrgebiet „mehr Druck aufbauen“.
Das Ruhrgebiet sollte einen neuen „Markenkern“ entwickeln und auf dem sollte „Wissenschaft“ draufstehen. Darauf müssten sich die Städte einigen, denn dies habe Konsequenzen von der Verkehrs- und Ansiedlungspolitik bis hin zu Kultur und Wohnen. Die Universitäten müssten in Forschung und Ausbildung zukunftsfähige Themen herausstellen, auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten. Vorbild München, wo General Electric ein Forschungszentrum in Uni-Nähe errichtete, oder Google in Zürich. Die Hochschulen sollten enger zusammenarbeiten, Studiengänge aufeinander abstimmen, Großgeräte gemeinsam nutzen. Und so fort.
Viele dieser Empfehlungen haben wir längst umgesetzt, kontern die Rektoren der drei Ruhr-Universitäten. „Wir sind längst besser, als die Studie uns darstellt.“