Washington. . Den wiedergewonnen Rückhalt in der Öffentlichkeit der USA nutzte US-Präsident Obama für eine Rede zur Lage der Nation, die wenig Angriffsflächen bot. Alles, was spalten konnte, vermied der Präsident sorgfältig.

Soviel Eintracht war selten. Seite an Seite saßen Demokraten neben Republikanern bei Obamas jährlicher Rede zur Lage der Nation. Die sonst übliche Sitzordnung nach Blöcken im US-Kongress war aufgehoben, um ein Signal zu setzen. Unter dem Schock des Blutbads von Tucson rückt Amerika zusammen. Doch selbst Obama sah sich nicht versucht, das Bild der Harmonie im Hohen Haus überzubewerten.

Nicht, „wie wir heute Abend sitzen“, sei entscheidend, sondern „wie wir morgen zusammen arbeiten können“. Wichtig sei nicht, wer die nächsten Wahlen gewinne, sondern allein, wie die Wirtschaft wieder vorangebracht und neue Jobs geschaffen werden können. „Zusammen vorwärts - oder überhaupt nicht“, mahnte Obama mit Blick auf die Republikaner.

Brücken ins andere Lager

Als „Stimme der Vernunft“ in Amerikas bislang so ruppiger politischer Krawall-Kultur platzierte sich Obama in seiner sorgfältig kalkulierten Rede, die Brücken ins andere Lager bauen sollte. Vor einem Jahr, bei seiner ersten Rede zur Lage der Nation, die jeder Präsident zu Beginn eines neuen Jahres vor dem versammelten Kongress zu halten hat, hatte Obama bereits mit mächtigen Gegenwind gegen seine ehrgeizige Reformagenda kämpfen müssen. Jetzt, drei Monate nach den verlorenen Kongresswahlen, die den Republikanern die Mehrheit in der größeren der beiden Parlamentskammern bescherte, ist sein Spielraum noch weit begrenzter.

An der mürrischen Miene des Republikaners John Boehners, der Obama vom Sessel des Parlamentschefs aus über die Schulter schaute, ließ sich freilich ablesen, wie wenig ihn Obamas Ausblick über weite Strecken überzeugte. Die Bestandsaufnahme über die Lage des Landes war nüchtern. Amerika drohe unter seinen Schuldenbergen begraben zu werden, warnte Obama. Die USA müssten aufpassen, im globalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten. „Auf dem Spiel steht, ob wir die Führungsrolle behalten, die Amerika nicht nur zu einem Ort auf der Landkarte gemacht hat, sondern zu einem Licht für die Welt.“

Vager Blick nach vorn

Wie vor 50 Jahren, als die Sowjets mit dem Start des „Sputnik“-Satelliten die USA schockierten, müsse sich die Nation nun anstrengen, um ihren Platz zu behaupten. Dies „ist der Sputnik-Moment unserer Generation“. Eine „Ruck“-Rede auf amerikanisch, stark gewürzt mit den Leitbildern amerikanischer Erfolgsgeschichten.

Vielen Leitartiklern und Bloggern fiel Obamas gut einstündiger Blick nach vorn reichlich vage aus. In Umfragen unmittelbar nach der Rede gaben viele Amerikaner hingegen an, dass der Präsident die richtige Richtung einschlägt. In Umfragen ist Obama aus dem Umfragekeller ohnehin inzwischen herausgeklettert. Seine besonnene Rede nach den Schüssen von Tucson, aber auch sein Alleingang bei der Verlängerung der Steuererleicherungen aus der Bush-Ära Ende letzten Jahres, haben ihm neuen Sympathien eingetragen.

Neuer Optimismus

Diesen neuen Rückhalt nutzte Obama für eine Rede, die wenig Angriffsflächen bot. Alles, was spalten konnte, vermied der Präsident sorgfältig. Kein Wort verlor er, zumal nach Tucson, über schärfere Waffengesetze. Kein Satz fiel, wo demnächst die Sparaxt fallen soll. Auch das Reizwort Steuererhöhungen nahm Obama, der längst seine Wiederwahl anpeilt, nicht in den Mund. Obama setzt darauf, dass die anziehende Wirtschaft die gröbsten Probleme aus der Welt schafft. Weit wichtiger war ihm ohnehin an diesem Abend, der frustrierten Nation neuen Optimismus zu spenden. Ganz im Stil eines Wahlkämpfers, der seinen Zuhörern Land neue Zuversicht einhaucht, entwarf Obama die Vision eines Landes, das sich nur wieder auf seine Stärken besinnen muss.