Essen. . Seit dem Loveparade-Unglück ist auch der Karneval nicht mehr derselbe. Die Sicherheits-Standards sind strenger. Gerade kleine Veranstalter kämpfen mit bürokratischen Hürden und höheren Kosten. In Mülheim-Mintard mussten Narren den Zug sogar absagen.

Sie ist der Stolz der Attendorner und seit Jahren der spektakuläre Auftakt des Veilchendienstagszuges. Wenn die größte Konfetti-Kanone der Welt durch die Straßen rollt, schauen rund 25.000 Menschen zu. Knapp fünf Meter ragt sie empor und hat es damit sogar ins Guinness Buch der Rekorde geschafft. Doch ihr großer Auftritt ist diesmal in Gefahr. Sie ist der Knackpunkt im Sicherheitskonzept, das die Veranstalter in diesem Jahr vorlegen müssen.

Das Loveparade-Unglück wirft seinen Schatten auch auf die Karnevalszüge. Seit der Massenpanik mit 21 Todesopfern hat das NRW-Innenministerium die Genehmigung für Open-Air-Veranstaltungen ab 5000 Zuschauern an strengere Vorgaben geknüpft. Attendorn darf den Zug diesmal nur genehmigen, wenn Polizei, Feuerwehr, Bau- und Ordnungsamt mit dem Sicherheitskonzept einverstanden sind.

Und die Ordnungsbehörden sind nach der Loveparade besonders vorsichtig, schauen noch genauer hin. Notwendig sind unter anderem Angaben zu Streckenverlauf, Zugängen, Absperrungen, medizinischer Versorgung, Ordnungskräften und eine ausreichende Haftpflichtversicherung. Die Kommunen müssen sich zudem mit dem Kreis, kreisfreie Städte mit der zuständigen Bezirksregierung abstimmen. Vielerorts ringen jetzt gerade die Veranstalter kleinerer Züge mit bürokratischen Hürden und fürchten höhere Kosten.

„Die Zeit drängt“

Rosenmontagszug 2010 in Kupferdreh. Foto: Dennis Straßmeier/ WAZ Fotopool
Rosenmontagszug 2010 in Kupferdreh. Foto: Dennis Straßmeier/ WAZ Fotopool

Auch vor den Attendornern liegt noch ein langer Weg, bis sie wissen, ob ihre Konfetti-Kanone an den Start gehen darf. Zuvor soll sie eine Probefahrt durch die Innenstadt bestehen. Mehrere Behörden müssen hierfür jedoch noch grünes Licht geben. „Die Zeit drängt. Zum Glück ist Karneval in diesem Jahr spät“, sagt Zugleiter Thomas Dolanc. „Wenn die Kanone nicht dabei ist, wäre das ein herber Verlust.“

In Mülheim haben die Narren bereits kapituliert. Der Kinderkarnevalszug durch den Stadtteil Mintard fällt aus. Einen maßstabsgetreuen Plan mussten die Veranstalter liefern, in dem jede Bank und jeder Mülleimer verzeichnet werden sollte. Ein weiteres Problem: Sie sollten dafür sorgen, dass sich nach Zugende Verkehr und Fußgänger nicht in die Quere kommen. Ein Rettungsweg hätte freigehalten, alle paar Meter ein Ordner positioniert werden müssen.

„Die Auflagen sind der Wahnsinn“

Zu groß war der Aufwand für das zwanzigköpfige Organisationsteam. „Wir hätten 100 Leute gebraucht“, sagt Andreas Schmidt von der Interessengemeinschaft Mintarder Kinderkarneval. Der Zug ging alle zwei Jahre durch Mintard. Bisher sei nie etwas passiert, sagt Schmidt. „Die Auflagen, die wir plötzlich erfüllen müssten, sind der Wahnsinn. Da wird einfach kein Unterschied zwischen unserer Veranstaltung und der Cranger Kirmes gemacht.“

Beim Festausschuss Kupferdreher Karneval kämpfen die Jecken derzeit noch mit der Formulierung des Sicherheitskonzepts. Der traditionelle Rosenmontagszug soll in diesem Jahr zum 139. Mal durch den Essener Stadtteil ziehen. Doch Zugleiterin Gisela Tüffers ist zuversichtlich: „Wir haben bisher schon viel Wert auf Sicherheit gelegt. Mehr kann man eigentlich nicht erwarten.“ Bereits zuvor wären an den Achsen jedes Motivwagens je zwei Ordner mitgelaufen. Für die Vereine sei das teuer, da sie die Leute bezahlen müssten. Deshalb hofft Gisela Tüffers, dass nicht noch mehr Kosten auf die Karnevalisten zukommen. „Das könnten wir kaum schultern.“

Karnevalisten haben Geldsorgen

Auch bei den Narren in Bochum-Wattenscheid lautet die Sorge: Wenn mehr Sicherheitspersonal gefordert wird, könnte es für einige Gruppen zu teuer werden. Die Veranstalter suchen derzeit verzweifelt nach Spendern. „Einige Sponsoren sind uns weggebrochen oder zahlen nicht mehr soviel“, klagt Josef Najda vom Festausschuss Wattenscheider Karneval. Auch die klamme Stadt unterstütze den Zug nicht mehr. Zudem sei vom Bonbon bis zur Musikkapelle alles teurer geworden.

Wurde die Meßlatte für die Sicherheit von Veranstaltungen nach der Loveparade-Tragödie vielleicht doch zu hoch gehängt? Das mag Jörg Rademacher vom NRW-Innenministerium nicht bestätigen. Im Gegenteil: Die Kommunen seien ohnehin sensibilisiert und hätten den Vorstoß des Ministeriums durchweg positiv aufgenommen. Das Innenministerium wolle ab Februar eine Projektgruppe mit Akteuren zum Thema Großveranstaltungen einrichten, in der unter anderem die Erfahrungen der vergangenen Monate gesammelt werden sollen. Konkreteres ist nicht zu erfahren.

Düsseldorf rechnet mit keinen Änderungen

Megaveranstaltungen wie der Düsseldorfer Rosenmontagszug sind dagegen weniger betroffen. Die Veranstalter sind an strenge Sicherheits-Auflagen gewöhnt. „Wir rechnen nicht damit, dass sich an unserem Konzept viel ändern wird“, sagt Hans-Peter Suchand vom Comitee Düsseldorfer Carneval. Zurzeit sei das Papier noch in der Abstimmungsphase. Der Rosenmontagszug, zu dem jedes Jahr rund eine Millionen Menschen in die Innenstadt strömen, sei ohnehin nicht mit der Duisburger Loveparade vergleichbar. „Der Bewegungsspielraum für die Zuschauer ist groß, die Straßen alle offen, es gibt keine Engpässe oder Nadelöhre“, sagt Suchand. „Der Zug ist fast durchgängig abgesperrt. Die Menschen haben einen großen Sicherheitsabstand zu Tieren und Wagen.“ Todesfälle oder schwere Verletzungen habe es in der Vergangenheit nicht gegeben.

Noch einer muss sich um seinen Zug keine Sorgen machen: Helmut Scherer wird in diesem Jahr zum letzten Mal den kleinsten Karnevalszug der Welt durch Unna führen. Der 55. Umzug in seinem 77. Lebensjahr sei ein willkommener Abschluss, sagt der Karnevalist. Scherers Zug ist längst Kult und Solist ist er schon seit einigen Jahren nicht mehr. Auch 2011 wird sein Bollerwagen von Tanzmariechen, Musikern und vom Kinderprinzenpaar begleitet. Doch mehr als ein paar hundert Schaulustige kommen nie. Und das sei auch gut so, sagt Scherer. „Mit Sicherheits-Fragen musste ich mich noch nie rumschlagen.“