Tunis. .

Nach dem Sturz von Tunesiens Präsident Zine El Abidine Ben Ali bleibt die Lage in dem Land weiter angespannt. Weiterhin sind in Tunis Schüsse zu hören. Möglicherweise sind an den Unruhen auch Deutsche beteiligt.

Tunesische Sicherheitskräfte haben am Sonntag in der Hauptstadt Tunis vier bewaffnete Deutsche festgenommen. Sie seien gemeinsam mit weiteren Ausländern in drei Taxis unterwegs gewesen, sagte ein Polizeivertreter im Staatsfernsehen. Woher die anderen Festgenommenen stammten, konnte er zunächst nicht sagen. Auch war zunächst unklar, um welche Art Waffen es sich handelte. Die Fahrer der drei Taxis gaben an, ihre Kunden hätten ihnen gesagt, sie wollten zur Jagd gehen.

Nach Angaben der Polizei wurden die Taxis im Stadtzentrum von Tunis, rund 300 Meter vor dem Sitz der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (PDP) gestoppt. Von dort war am Nachmittag ein kurzer Schusswechsel gemeldet worden. In der Hauptstadt herrschte zu dem Zeitpunkt eine angespannte Atmosphäre. Immer wieder hielten Sicherheitskräfte Taxis und andere Fahrzeuge an und durchsuchte sie nach Waffen. Kurze Zeit später kam es zu Gefechten zwischen bewaffneten Anhängern des abgesetzten Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali und Sicherheitskräften der Übergangsregierung.

Schüsse nahe des Präsidenten-Palastes

Am Sonntagabend spitzte sich die Lage weiter zu. Augenzeugen berichteten über ein Feuergefecht in der Nähe des Präsidentenpalasts rund 15 Kilometer nördlich der Hauptstadt Tunis, an dem Leibgardisten des gestürzten Machthabers Zine El Abidine Ben Ali beteiligt gewesen sein sollen. Schüsse waren auch in der Hauptstadt in der Nähe des Innenministeriums zu hören.

Einem hochrangigen Politiker der stärksten Oppositionskraft, der Demokratischen Fortschrittspartei (PDP), zufolge lieferten sich zudem unbekannte Angreifer mit Sicherheitskräften vor der PDP-Parteizentrale in Tunis ein Feuergefecht. Die Spannungen zwischen Anhängern Ben Alis, die nach dessen Flucht nach Saudi-Arabien um ihre Macht und Stellung fürchten, und dessen Gegnern sind offenbar weiter gestiegen.

Die Polizei nahm auch den Leiter der Leibgarde des gestürzten Präsidenten, Ali Seriati, sowie mehrere seiner Mitarbeiter fest. Ihnen werde eine Verschwörung gegen die nationale Sicherheit vorgeworfen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur TAP. Insgesamt wurden nach Angaben aus Polizeikreisen 50 Verdächtige festgenommen, die aus Kranken- und Mietwagen heraus auf Menschen geschossen haben sollen.

Hunger treibt die Menschen um

Über der Hauptstadt kreisten Militärhubschrauber. In einigen Vierteln bewaffneten sich Bürger mit Stöcken und Knüppeln und bildeten spontane Milizen, um ihre Häuser zu schützen. Bewohner waren auf der Suche nach Essen. Die meisten Geschäfte blieben auch am Sonntag geschlossen, die Vorräte an Brot und Milch wurden knapp.

Die Menschenrechtsaktivistin Souhayr Belhassen kehrte am Sonntag nach Tunesien zurück. Die Vorsitzende des Dachverbands Internationale Vereinigung für Menschenrechte erklärte am Flughafen von Tunis, ihre lange unterdrückten Landsleute seien offenbar bereit für nie da gewesene Freiheiten. „Wir können anfangen zu hoffen“, sagte einer der PDP-Gründer, Nedschib Chebbi. Die Frage sei nun, ob die neue Regierung tatsächlich pluralistisch werde oder wieder von Ben Alis Regierungspartei RCD bestimmt sei. „Wenn die RCD dominiert, sind wir noch nicht aus dem Schneider“, erklärte er.

Zwei Machtwechsel innerhalb von 24 Stunden

Der 74-jährige Ben Ali war am Freitag nach dem Volksaufstand gegen Korruption und steigende Arbeitslosigkeit außer Landes geflohen und hält sich nun in Saudi-Arabien auf. Am Samstag wurde Foued Mbazaa als neuer Übergangspräsident vereidigt. Es war der zweite Wechsel an der Spitze des nordafrikanischen Staates innerhalb von nur 24 Stunden. Erst am Vortag hatte Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi im Staatsfernsehen erklärt, er habe nach Ben Alis Flucht die Macht übernommen.

Mbazaa, der bisher Präsident des Unterhauses des Parlaments war, forderte den Ministerpräsidenten des Landes zur Bildung einer Einheitsregierung auf. Im Interesse des Landes müssten „ohne Vorbehalte und ohne Ausnahmen“ alle politischen Parteien beteiligt werden, auch die Opposition, sagte der 77-Jährige in einer ersten Fernsehansprache. Das Verfassungsgericht kündigte Neuwahlen innerhalb von zwei Monaten an.

Wie viele Menschen bei den Protesten gegen die Regierung in den vergangenen Wochen getötet wurden, ist bisher nicht geklärt. Von offizieller Seite hieß es, bei den Unruhen seien mindestens 23 Menschen ums Leben gekommen. Die Opposition geht hingegen von mehr als 60 Opfern aus. Die Wut der Menschen entlud sich in Brandschatzungen von Geschäften in Ben Alis Familienbesitz. Dessen Frau, Leila Trabelsi, hält Beteiligungen an einer Vielzahl von Unternehmen, von Finanzdienstleistern bis hin zur Autohäusern.

Merkel fordert Einführung „wirklicher Demokratie“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) appellierte an den Übergangspräsidenten Mbazaa, die angespannte Lage für einen Neuanfang zu nutzen. „Gehen Sie auf die protestierenden Menschen zu und führen Sie wirkliche Demokratie ein“, forderte Merkel nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert am Samstag in Berlin Mbazaa auf. Es sei unabdingbar, die Menschenrechte zu respektieren sowie Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit zu garantieren. Die Kanzlerin versicherte, Deutschland und die Europäische Union würden das Land bei einem solchen Neuanfang unterstützen.

US-Präsident Barack Obama verurteilte die Gewalt gegen die Demonstranten. Gleichzeitig lobte er den Mut der Menschen in Tunesien. Die Arabische Liga rief zur Ruhe in dem nordafrikanischen Land auf. Amr Moussa, der Chef der Liga, nannte die Ereignisse gefährlich und historisch, würden diese doch „den Beginn einer Ära und das Ende einer anderen“ bedeuten. Die Unruhen in Tunesien haben auch andernorts bei Aktivisten die Hoffnungen wachsen lassen, dass nun der Druck auf andere autoritäre Regime in der Region wachsen könnte.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am Sonntag, die Unruhen spiegelten die Instabilität in der Region wider und belegten, warum Israel bei Friedensverhandlungen mit den Palästinensern Vorsicht walten lassen müsse. Der in Tunesien geborene stellvertretende Ministerpräsident Silvan Schalom äußerte seine Sorge um die kleine jüdische Gemeinde in seinem Heimatland.

Reisende zurück in Deutschland

Am Sonntag gingen die Evakuierungen von Tunesien-Urlaubern weiter. Die großen deutschen Reiseveranstalter Thomas Cook, TUI und Rewe Touristik setzten dazu zahlreiche Sondermaschinen ein. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sollten bis Sonntagabend bis zu 8.000 Urlauber aus Tunesien ausgeflogen werden. Die ersten Flugzeuge waren schon am Freitagabend in Deutschland gelandet. D

as Auswärtige Amt schickte am Sonntag zwei Konsularbeamte nach Djerba und Hammamet, um an den dortigen Flughäfen die Ausreise deutscher Staatsangehöriger zu unterstützen. Alle großen Reiseveranstalter bieten bis zum 31. Januar an, schon gebuchte Tunesien-Reisen in ein anderes Land kostenlos umzubuchen. (ap)