Tunis.
Die Menschen in Tunesien geben sich mit der Ankündigung von Neuwahlen nicht zufrieden. Kritiker wollen, dass Ben Ali von der politischen Bildfläche verschwindet.
Erst waren es Proteste gegen die Arbeitslosigkeit und drastisch gestiegene Lebensmittelpreise - nun haben die Demonstranten nur noch den Rücktritt von Präsident Zine El Abidine Ben Ali im Sinn. „Lieber eine Lebensmittelkrise als Ben Ali“, steht auf einem der Plakate der Protestierenden, die am Freitag erneut zu Tausenden Tunesiens Straßen säumten, „Ben Ali - dank ab!“ auf einem anderen. Nun hat Ben Ali, der das Land seit 23 Jahren mit harter Hand regiert, zwar die Auflösung seiner Regierung und vorgezogene Parlamentswahlen angekündigt. Er selbst denkt aber offenbar nicht an ein vorzeitiges Ausscheiden.
In der Hauptstadt Tunis zogen am Freitag zunächst dutzende, dann hunderte und schließlich tausende Menschen über die Hauptallee zum Innenministerium und forderten den Rücktritt des Präsidenten. Den Demonstrationszügen schlossen sich neben frustrierten Bürgern und Oppositionellen auch Anwälte, Gewerkschafter, Krankenschwestern in weißen Kitteln und zahlreiche Journalisten an. „Heute ist eine Demonstration der Hoffnung“, sagt Moncef Ben Mrad, Herausgeber unabhängiger Zeitungen. „Es ist die Geburt eines Volkes, das mehr Freiheit fordert und will, dass die Familien, die das Land beraubt haben, die Reichtümer wieder zurückgeben.“
Wochenlange Proteste
Angesichts der seit Wochen anhaltenden Proteste mit mittlerweile dutzenden Toten ist Ben Ali um Schadensbegrenzung und Zugeständnisse bemüht. In sechs Monaten sollen Neuwahlen stattfinden. In einer Rede an die Nation gestand Ben Ali am Donnerstagabend außerdem eine Fehleinschätzung der sozialen Lage des Landes ein und ordnete ein Ende der Gewalt gegen Demonstranten an. „Ich habe euch verstanden“, sagte er an die Adresse seiner Kritiker. Dennoch demonstrierte der Staat gleich am nächsten Tag wieder Härte: Am Freitag fuhr die Armee mit Panzern am Innenministerium vor, und die Polizei trieb die dort versammelten Demonstranten mit Tränengas auseinander.
Zu Ben Alis Versprechen gehören neben Preissenkungen für Brot und Milch auch die Gewährleistung der Pressefreiheit und ein Ende der Zensur im Internet. Doch der Protest auf den Straßen bleibt laut - die Demonstranten schenken den Versprechen keinen Glauben. „Wir wollen Handlungen, keine Parolen!“, ruft etwa die Menschenrechtsaktivistin Radia Nasraoui vor dem Innenministerium in Tunis. Sie ist besonders von den Repressalien der Regierung betroffen: Am Mittwoch wurde ihr Mann festgenommen, er ist Chef der oppositionellen Arbeiterpartei POCT. Seitdem hat sie keine Informationen über sein Schicksal.
Abdankung der „korrupten“ Regierung gefordert
„Wir wollen einen Zeitplan für die Umsetzung der Versprechen“, sagt der oppositionelle Journalist Ayman Rizgui und fasst damit das Gefühl auf der Straße in Worte. Die Demonstranten fordern die Abdankung der „korrupten“ Regierung, neue Köpfe an der Spitze des Landes und eine wahre Demokratisierung. Zunächst soll jedoch nach dem Willen des Staatschefs der amtierende Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi die Bildung einer neuen Regierung vornehmen. Auch Ben Ali bleibt bis zum Ende seines Mandats 2014 an der Macht - und die Bürger damit wohl vorerst auf der Straße. (afp)