Paris. .
Eigentlich wurde das Medikament Mediator für übergewichtige Diabetiker entwickelt. Jetzt ist es in Frankreich verboten - das sorgt für einen Skandal. Doch was bedeutet das für Deutschland?
Der Skandal um das Medikament Mediator in Frankreich wird auch den deutschen Pillenmarkt aufrütteln: Nach dem Verbot der Diabetikerarznei in Frankreich im Herbst 2009 stehen auch in Deutschland verschriebene Mittel vor einem möglichen Verbot. Zwar war Mediator in Deutschland nie zugelassen - aber die stark kritisierten französischen Aufsichtsbehörden haben nun stärkere Prüfungen auch von europaweit vertriebenen Arzneien angekündigt.
Im Nachbarland publizieren Medien wie der „Express“ bereits Listen mit Produkten, die Patienten möglicherweise mehr schaden als nützen. Betroffen sind Mittel für Diabetiker wie das viel verschriebene Actos oder Psychopharmaka wie Zyprexa. „Wir werden das gesamte System überprüfen“, hat Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy angekündigt. Insgesamt stünden 76 Produkte unter verstärkter Beobachtung.
Appetithemmende Wirkung
Der Mediator-Skandal könnte sich noch ausweiten. Hieß es Ende 2010 noch, etwa 500 Menschen seien möglicherweise durch das Medikament zu Tode gekommen, geht das Pariser Gesundheitsministerium aktuell von bis zu 2.000 betroffenen Menschen aus. Eigentlich wurde Mediator vom Pharmakonzern Servier für übergewichtige Diabetiker entwickelt. Nach seiner Markteinführung im Jahr 1976 aber wurde seine appetithemmende Wirkung schnell auch Gesunden zum Abnehmen verschrieben. Mehr als fünf Millionen Menschen haben die kleinen weißen Pillen allein in Frankreich geschluckt. Viele weitere umstrittene Medikamente will Frankreich nun unter die Lupe nehmen.
„Grundsätzlich stehen natürlich alle Behörden in der EU im engen Austausch“, sagt der Sprecher des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Maik Pommer. Sollte Frankreich nun bedenkliche Risiken von Medikamenten aufdecken, würden deutsche Ärzte und Patienten dies umgehend erfahren. Eine vergleichbare „rote Liste“ mit risikoreichen Medikamenten wie in Frankreich existiere in Deutschland aber nicht. „Erst wenn ein Produkt wirklich vom Markt genommen werden muss, machen wir dies auch publik“, sagt Pommer. Ansonsten würden die Patienten nur unnötig verunsichert.
„Wir gehen von nur drei Todesfällen aus“
Der Fall Mediator hat einige Lücken in der Kontrolle von Medikamenten aufgezeigt. Viele Risiken werden erst bekannt, wenn die Arzneien schon längst verschrieben und von tausenden Patienten eingenommen werden. So mussten in den vergangenen Jahren unter anderen Vioxx, Sibutral, Avandia und nun Mediator vom Markt genommen werden. Aktuell gibt die staatliche französische Zulassungsbehörde Afssaps an, 76 Medikamente „erneut zu prüfen.“
Viel zu spät, sagen viele Kritiker. Bruno Toussaint, Herausgeber der französischen pharmakritischen Zeitschrift „Prescrire“ (zu deutsch verschreiben), hatte schon 1997 vor Mediator gewarnt. „Die französischen Kontrollen haben versagt“, sagt Toussaint. Die Pharmaindustrie aber sieht sich nicht in der Verantwortung. Jacques Servier, Gründer und Patron des gleichnamigen Pharmakonzerns, hatte mit seinen Äußerungen Anfang Januar die französische Öffentlichkeit schockiert. „Die Ärzte stehen hinter uns, alle Kardiologen unterstützen uns“, behauptete der 88-Jährige. Bislang bestreitet die Firma, für die Todesfälle verantwortlich zu sein. „Wir gehen von nur drei Todesfällen aus“, so Servier. Die verstorbenen Patienten hätten noch unter vielen weiteren Krankheiten und Risikofaktoren gelitten und seien daran gestorben, lautet die offizielle Linie des zweitgrößten französischen Pharmakonzerns.
Sarkozy verspricht „absolute Transparenz“
Eine Sicht, die von der europäischen Arzneimittelagentur EMA längst widerlegt wurde. Offenbar aber hat auch diese Behörde zu spät reagiert. Während Spanien Mediator schon 2003 verbot und das Medikament in Deutschland nie zugelassen wurde, forderte die EMA Frankreich erst 2009 auf, Mediator europaweit vom Markt zu nehmen. Von den ersten Warnungen innerhalb der verschiedenen französischen Behörden bis zu einem tatsächlichen Verbot der gefährlichen Arznei vergingen mehr als zehn Jahre.
So hatten schon 1998 drei renommierte Medizinprofessoren die französische Aufsichtsbehörde Afssaps gewarnt - sie wurden ignoriert. Die möglichen Versäumnisse des französischen Gesundheitsministeriums rücken nun in den Blickpunkt der französischen Öffentlichkeit. Französische Medien bezeichnen sie als „Vasallen der Pharmaindustrie“. So habe die Staatssekretärin im französischen Gesundheitsministerium, Nora Berra, vor ihrem Beamtenjob für drei verschiedene Pharmakonzerne gearbeitet. Auch Präsident Sarkozy soll für den Industriellen Servier in jungen Jahren als Anwalt gearbeitet haben und ein Freund von ihm sein. Nun verspricht Sarkozy eine „absolute Transparenz“ in der Affäre. (dapd)