Berlin. .
Ausländische Pflegekräfte sind aus Sicht von Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) keine Lösung im Kampf gegen den drohenden Notstand. Pflegekräfte sollten vielmehr besser bezahlt werden, fordert sie im Interview.
Immer mehr Deutsche werden pflegebedürftig. Dafür fehlen Fachkräfte und die Kosten explodieren. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) sieht in Pflegekräften auf dem Ausland dennoch keine nachhaltige Lösung. Die geplante Pflegezusatzversicherung will die CSU-Frau ebenfalls nicht um jeden Preis, sondern fordert eine offene Diskussion in den Parteien. Im Interview mit DerWesten erklärt sie, warum.
Im November haben Sie Minister Rösler vorgeworfen, dass er nicht wirklich Lust auf das Thema Pflege habe. Hat er sich gebessert?
Christine Haderthauer: Er hat zwischenzeitlich einige zentrale Fragen angesprochen. Jetzt geht die Regierung das Thema Pflege öffentlich wahrnehmbar an – anders als im November.
Der Pflegebegriff wird neu geregelt. Was muss da rein?
Haderthauer: Die zentrale Herausforderung ist die Demenz, die wegen der gestiegenen Lebenserwartung zukünftig fast jede zweite Frau und nahezu jeden dritten Mann treffen wird. Sie ist in den bisherigen Pflegestufen, die vorwiegend die körperliche Beeinträchtigung sehen, nicht hinreichend berücksichtigt. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff stellt deshalb zu Recht den Umfang der Gesamtbeeinträchtigung in den Mittelpunkt. Dementsprechend müssen dann auch die Bedarfsgrade des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs mit Leistungen hinterlegt werden.
Sie haben den Pflege-TÜV, der Heime benotet, als Totgeburt und Volksverdummung bezeichnet. Was muss passieren, dass der TÜV doch noch Sinn macht?
Haderthauer: Der Schaden ist ja bereits eingetreten: Der Pflege-TÜV wird schon jetzt nicht mehr für voll genommen. Statt dem Verbraucher Orientierung zu geben, wurde er ein Feigenblatt für die, die ihn ausgehandelt haben – die Träger der Pflegeheime und die Kassen.
Was sollte der TÜV bewerten?
Haderthauer: Statt vorwiegend zu bewerten, wie Heime ihre Arbeit dokumentieren sollte er sich an der Pflegequalität orientieren, die bei den Pflegebedürftigen ankommt. Dazu gehören auch KO-Kriterien. Es kann nicht sein, dass ein Heim schwere Pflegemängel durch schöne Freizeitangebote oder regelmäßige Fortbildungen fürs Personal ausgleichen und damit verdecken kann.
Brauchen wir ausländische Pfleger, um den Fachkräftemangel zu beseitigen?
Haderthauer: Ich glaube nicht, dass sich der Fachkräftemangel damit beseitigen lässt, Zuzug aus dem Ausland kann allenfalls kurzfristig Entlastung schaffen. Auch in anderen Ländern werden Pflegefachkräfte gesucht und diese Länder haben bei den Arbeitsbedingungen längst aufgeholt. Es muss uns vielmehr darum gehen, den Pflegeberuf insgesamt attraktiver zu machen. Wenn wir eine gute Qualität in der Pflege erhalten wollen, dann sollten wir uns schnellstens darum kümmern, dass das Pflegen eines Menschen nicht schlechter bezahlt wird als das Zusammenschrauben eines Autos.
Wie kann man den Pflegeberuf attraktiver machen?
Haderthauer: Das Wichtigste und auch der Hebel, um mehr Männer für den Pflegeberuf zu gewinnen, ist das Gehalt. Zudem muss Bürokratie abgebaut werden. Menschen ergreifen den Pflegeberuf aus Freude an der Arbeit am Menschen und nicht aus Freude an der Arbeit am Schreibtisch. Ein Großteil der Bürokratie ist von der Selbstverwaltung gemacht. Wenn die Verbände und Kassen weiterhin keinen Bürokratieabbau schaffen, wird auch hier der Gesetzgeber gefragt sein.
Steht die CSU ohne Wenn und Aber hinter der Einführung der kapitalgedeckten Pflegezusatzversicherung wie es der Koalitionsvertrag vorsieht?
Haderthauer: Seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags erleben wir auch in der CSU eine sensible Öffnung der Diskussion. Erfüllt eine zusätzliche Kapitalstütze wirklich alle Erwartungen? Im Unterschied zum jetzigen paritätischen Umlagesystem wäre der Beitrag für die Zusatzversicherung alleine vom Arbeitnehmer zu entrichten. Wie gehen wir damit um, dass das für viele Menschen finanziell nicht möglich sein wird? Wird der bürokratische Aufwand für eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung vertretbar sein? Das Ganze bringt nur was, wenn wir ein umfassend überzeugendes Konzept haben. Das ist ein Weg, der noch nicht gegangen ist.
Sind Sie für die Zusatzversicherung?
Haderthauer: Ich bin nicht vorbehaltslos für die kapitalgedeckte Zusatzversicherung, solange wir nicht kritisch geprüft haben, ob die Vorteile die Nachteile tatsächlich überwiegen. Wir müssen jetzt die richtigen Fragen stellen und sie dann auch für die nachfolgenden Generationen überzeugend beantworten. Zunächst gilt es ohnehin festzulegen, was wir auf der Leistungsseite von dem System Pflegeversicherung zukünftig erwarten. Erst dann wissen wir, wie viel Geld die Pflegeversicherung benötigt. Für einen Minimalbeitrag wird sich der Aufwand einer zweiten Säule nicht lohnen. Ich fordere Offenheit bei der Diskussion ein, weil das Thema zu wichtig ist, als dass man sich jetzt einfach auf eine einmal getroffene Vereinbarung im Koalitionsvertrag zurückzieht.
Braucht man einen Sozialausgleich, wenn die Zusatzversicherung kommt?
Haderthauer: Gut möglich, denn die kleinen Einkommen dürfen nicht übermäßig belastet werden. Doch damit verlassen wir wieder das System und kommen zur Kofinanzierung durch Steuern. Das bringt weitere Kompliziertheit und Bürokratie mit sich, daher bringt´s das Ganze nur, wenn es vom Ende her gedacht wird.
Neben der Zusatzversicherung drohen höhere Beiträge in der bisherigen Pflegeversicherung. Kann man hier den Arbeitgeberanteil einfrieren?
Haderthauer: Ohne Zusatzversicherung könnte es durchaus ein Weg sein, mit Blick auf die Lohnnebenkosten den Arbeitgeberanteil einzufrieren. Sollte jedoch eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung kommen, würde allein dadurch der Arbeitgeber ein Stück weit aus der Verantwortung entlassen. Wenn wir dann auch noch den Arbeitgeberanteil bei der Umlagefinanzierung einfrieren, würden wir das Solidaritätsprinzip eventuell zu stark einschränken.