Essen. .
NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) sagt, wie sie neue Pflegeskandale verhindern will und warum der Sparzwang alles nur teurer macht.
Eine Pflegerin für 20 Senioren, wund gelegene Alte, überfordertes Personal – Berichte über Pflegeheime, wie zuletzt aus Mülheim, sind meist erschreckend. Barbara Steffens, NRW-Ministerin für Gesundheit und Pflege, erklärte beim Redaktionsbesuch, wie sie das ändern will.
Frau Steffens, wenn es aus der Pflege Schlagzeilen gibt, dann schlechte. Was tun Sie als Ministerin dagegen?
Steffens: Natürlich sind es die Extremfälle, die Schlagzeilen machen. Ihnen gehen wir auch nach. Grundsätzlich ist es ein Problem, dass wir bisher immer erst aufmerksam werden, wenn Leute zu Schaden gekommen sind. Ich will vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen und der kommunalen Heimaufsicht aber frühzeitig informiert werden, damit ich reagieren kann, bevor etwas Schlimmes passiert. Dafür planen wir in NRW ein Frühwarnsystem.
Wie soll das funktionieren?
Steffens: Wir haben dazu einen Auftrag an Experten vergeben. Mit dem Projekt soll ein weitgehend IT-gestütztes Verfahren zur frühzeitigen Erkennung von pflegekritischen Situationen für das interne Qualitätsmanagement entwickelt und praktisch erprobt werden. Ich möchte, dass dort, wo es zu Personalengpässen oder anderen Problemen kommt, frühzeitig Alarm geschlagen wird, damit man gezielt etwas unternehmen kann, bevor der Mangel zu Missständen führt, die dann als neuer Pflegeskandal in der Presse landen.
Führt der Personalmangel in den Heimen nicht zwangsläufig zum Systemkollaps?
Steffens: Das ist mir zu einfach. Es gibt sehr gute und grottenschlechte Einrichtungen. Die guten haben weder ein Personalproblem noch finanzielle Schwierigkeiten. Schlecht läuft es überall dort, wo die Heimleitung kein gutes Personalmanagement hinbekommt, wo viele Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter eingesetzt werden und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Überlastung häufig krank sind. Daran wird sich nichts ändern, wenn es zum x-ten Mal dokumentiert wird. Da muss ganz einfach der Heimleiter oder die Heimleiterin an die Hand genommen und von denen geschult werden, die es besser machen.
Wenn es dennoch tendenziell Personalmangel gibt, sollten wir uns nicht freuen, dass im Mai 2011 die Grenzen für osteuropäische Arbeitskräfte fallen?
Steffens: Das kann gut, aber auch schief gehen. Bestenfalls bringen die osteuropäischen Pflegekräfte alle gute Qualifikationen mit, dann können sie die Lage entspannen. Ein Problem wäre es aber, wenn wir eine Schwemme von Haushaltshelferinnen bekommen, die dann Pflegeaufgaben übernehmen. Das geht nicht ohne entsprechende Kompetenz.
Aber die vielen Polinnen, die heute oft illegal in Deutschland alte Menschen pflegen, leisten doch gute Arbeit.
Steffens: Solange sie tatsächlich nur haushaltsnahe Dienstleistungen anbieten, ist das ja in Ordnung. Andernfalls würde es aber zu einer Absenkung der Qualitätsstandards in der Pflege führen.
Droht durch die offenen Grenzen Lohndumping?
Steffens: Das darf eigentlich nicht passieren, schließlich haben wir einen Mindestlohn in der Pflege. Ich weiß, dass er oft unterlaufen wird, indem die Beschäftigten länger arbeiten müssen und ihre Überstunden nicht immer bezahlt werden. Das wird man künftig besser kontrollieren müssen.
Die Pflegekasse kann die Heimkosten nicht decken, viele Bewohner auch nicht. Die Kommunen müssen einspringen, was sie überfordert. Brauchen wir eine private Zusatzversicherung?
Steffens: Die Kommunen helfen Geringverdienern, Rentnern und Arbeitslosen. Die können sich eine Privatversicherung ohnehin nicht leisten.
Sie kämpfen mit der CSU gegen den Pflege-Riester?
Steffens: Aber ja. Ich kann mir nicht vorstellen, eine Privatversicherung zu subventionieren, die das Geld dann in die Hände der Finanzmärkte gibt. Wenn man mehr Geld für die Pflege braucht, muss man die Einnahmen auf eine breitere Basis stellen und etwa auch Kapitaleinkünfte einbeziehen. So wie wir es mit der Bürgerversicherung vorhaben.
Ist das wirklich die einzige Chance: immer mehr Geld ins System zu pumpen?
Steffens: Nein, es ließe sich jede Menge Geld sparen, wenn nicht jeder für sich selbst abrechnen würde. Die Sparzwänge in der Pflege verursachen Mehrkosten an anderer Stelle. Heimbewohnerinnen und -bewohner, die austrocknen, kommen zur teuren Intensivbehandlung ins Krankenhaus. Demente Menschen, die nicht dann ihr Essen bekommen, wenn sie Hunger haben, landen an der Sonde. Die Kosten sind enorm, doch durch die strikte Trennung von Pflege- und Krankenkasse rechnet sie niemand gegen. Deshalb will ich von den Kassen endlich Zahlen dazu haben. Vielleicht würden sie ja doch mal eine Pflegestelle mehr finanzieren, wenn das Folgekosten für die Krankenversicherung spart.