Essen. .
Die Übernahme des Stromversorgers Steag ist für die beteiligten Stadtwerke riskanter als bekannt. Möglicherweise könnte das Geschäft in der Zukunft weniger Gewinn abwerfen als bislang gedacht. Der Kauf würde sich zu einem Geldgrab entwickeln.
Die Übernahme des fünftgrößten deutschen Stromversorgers Steag durch ein Stadtwerke-Konsortium ist für die Gemeinden im Ruhrgebiet riskanter als bisher gedacht. Nach Recherchen der WAZ hat die Steag in den vergangenen Wochen ihre Gewinnerwartungen in Szenarien für die kommenden Jahre deutlich gesenkt. Die Steag-Gewinne werden aber nach dem Finanzkonzept des Stadtwerkeverbundes, zu dem die Stadtwerke Dortmund, Essen, Bochum und Duisburg gehören, benötigt, um die Übernahme zu finanzieren.
Auf Nachfrage bestätigten die Stadtwerke, dass ihre Stadträte bislang nicht vor den Abstimmungen zu dem Steag-Kauf über sinkenden Einnahmen informiert worden seien. Dies sei auch nicht nötig gewesen, sagte ein Sprecher des Stadtwerke-Verbunds, da sich das Kaufangebot über rund 620 Millionen Euro für 51 Prozent an der Steag auf „eigene Berechnungen“ stütze. Die Zahlen der Steag hätten daher „keine Relevanz“.
Keine stabilen Gewinne
Das allerdings ist fraglich. In einer geheimen Vorlage für die Räte steht etwa, dass von „langfristig stabilen“ Steag-Gewinnen ausgegangen werde, und zwar von rund 100 Millionen Euro im Jahr. Die Stadtwerke Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund, Oberhausen und Dinslaken rechtfertigen unter anderem mit dieser Annahme den Steag-Kaufpreis.
Und genau das könnte ein Problem werden. Denn das ganze Geschäft hängt offensichtlich davon ab, dass die Gewinne bei der Steag stabil bleiben. Sollten sie trotz aller Hoffnung stark einbrechen, würde womöglich aus der angeblichen Goldgrube Steag ein kommunales Geldgrab. Aber der Reihe nach.
Über Kredite finanzieren
Aus den Unterlagen, die uns vorliegen, geht hervor, dass die Gemeindebetriebe das Geschäft größtenteils über Kredite finanzieren. Dabei soll eine gemeinsame Besitzgesellschaft rund 70 Prozent der Kredite aufnehmen. Die Bedienung dieser Kredite kostet die Besitzgesellschaft jährlich etwa 40 Millionen Euro, die vom erwarteten Steag-Gewinn abgehen.
Die restlichen 30 Prozent des Kaufpreises müssen die Stadtwerke direkt aufbringen. Dazu wollen sie selbst Darlehen nehmen, Bargeld aus dem eigenen Vermögen einsetzen oder Geld in den verschuldeten Kommunen auftreiben. Insgesamt müssten die Stadtwerke für dieses Kapital jedes Jahr bis zu zehn Millionen Euro Zinsen und Tilgungen aufbringen, wie aus den Unterlagen hervorgeht. Hinzu kommt eine Ausschüttung, die die Stadtwerke an den bisherigen Steag-Eigner Evonik laut Kaufvertrag ausschütten müssen: Jedes Jahr gut 40 Millionen Euro, und zwar garantiert.
Unter dem Strich gehen also rund 90 Millionen vom erwarteten Gewinn von 100 Millionen Euro ab. So lange der Plan aufgeht, haben die Stadtwerke rund zehn Millionen Euro in der Kasse.
Szenario-Berechnungen
Aus Steag-internen Szenario-Berechnungen geht jedoch hervor, dass dem Versorger Gewinnrückgänge drohen. Im Stromgeschäft ist die Rede davon, dass die Profite im kommenden Jahr um knapp elf Millionen Euro sinken könnten – gegenüber jenen Planungen, auf denen die Berechnungen der Stadtwerke basieren. 2012 könnte der Rückgang bei zwölf, 2013 sogar bei 17 Millionen Euro liegen.
Ein Evonik-Sprecher sagte, bei den Szenarien handele es sich nicht um offizielle Planzahlen. Gleichwohl „werden mögliche Marktentwicklungen und die Auswirkungen auf das Geschäft mit den Bietern besprochen. Das ist auch hier geschehen, vergleichbare Entwicklungen wie in dem Ihnen vorliegenden Szenario wurden selbstverständlich den Bietern mitgeteilt.“ Es sei üblich, solche Updates zu geben. „Im Übrigen ist es Sache der Bieter, das Geschäft mit eigenen Berechnungen zu analysieren.“
Das Risiko der Stadtwerke ist also groß. Vielleicht haben sie aus diesem Grund dem Entsorgungsriesen Remondis angeboten, 49 Prozent an der Steag und die Mehrheit am Auslandsgeschäft zu übernehmen, wie es in Finanzkreisen heißt. Remondis hat ebenfalls für 51 Prozent geboten – ohne Kreditfinanzierung.