Düsseldorf. .
Er ist ein 17-Jähriger Flüchtling aus Afghanistan. Das Schicksal hat ihn irgendwie ins Rheinland verschlagen. Die Ausländerbehörden setzten alles daran, ihn schnell wieder abzuschieben. Auch Selbstmordversuche schützten ihn nicht.
Er ist kein Junge, den Deutschland willkommen heißt. Er hilft nicht gegen den Fachkräftemangel und fragt nicht nach Integrationskursen. Er spricht kaum Deutsch, er benimmt sich zuweilen daneben, ist krank, verschüchtert und heimatlos. So ein Junge darf nicht auf Verständnis hoffen. Der Junge, von dem hier die Rede ist, hat sogar die volle Staatsgewalt gespürt.
Hakim (Name geändert) ist 17 und stammt aus Afghanistan. Er ist ein „unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling”, also einer, der ohne Verwandte einreist. Das Schicksal hat Hakim irgendwie ins Rheinland gespült. Er hat schon viel erlebt: Ein paar Jahre Sklavenarbeit im Iran, Schläge in ungarischer Abschiebehaft, und er hat mehrfach versucht, sich umzubringen.
Behörde änderte das Geburtsdatum
Menschenrechtler der Evangelischen Kirche und des Flüchtlingsrates NRW meinen, dass dem Flüchtling Hakim übel mitgespielt wurde. Hakim hatte dem Bundesamt für Migration im Februar gesagt, dass er 17 sei. Die Behörde schrieb ein anderes Geburtsdatum in die Akte: 1. Januar 1992. Volljährig also und damit schneller abzuschieben. „Von Ämtern willkürlich gewählte Geburtstage sind üblich, wenn es um jugendliche Asylbewerber geht”, sagen Hans-Joachim Schwabe vom Kirchenkreis Jülich und Volker Maria Hügel vom Flüchtlingsrat NRW. Dass Hakim ein paar Wochen später eine Geburtsurkunde nachreichte, interessierte nicht mehr.
Hakim sollte schnell zurück nach Ungarn, denn dort war er in die EU eingereist und im Land der Einreise muss das Asylverfahren eingeleitet werden. Hakim wollte nicht nach Ungarn. Im Aufnahmelager in Schöppingen stürzte er sich in eine Glasscheibe. Mehrere Male landet der Junge in der Psychiatrie und in Haft. Eine Psychologin der Justizvollzugsanstalt Bochum bescheinigt ihm eine schwere Traumatisierung. Hakim erzählt, dass er in der Abschiebehaft in Büren aus der zweiten Etage sprang. Danach habe er sich in der Zelle den Kopf blutig geschlagen. Dennoch stellte ihm ein Arzt auf den Flughafen Düsseldorf eine „Fit to fly”-Bescheinigung aus. Das bedeutet: reisefähig. Hakim beteuert, der Arzt habe nicht mal mit ihm gesprochen. Ein Lufthansa-Kapitän weigerte sich, den blutenden und zeternden Jungen mitzunehmen.
Das Verwaltungsgericht Aachen verfügte im Eilverfahren einen vorläufigen Abschiebestopp. Hakim sei mitnichten reisefähig, seine Verletzungen seien zum Teil unbehandelt. Dennoch, so Schwabe, habe die zuständige Ausländerbehörde die Abschiebung weiter betrieben
„Selbstmordgefahr schließt Reisefähigkeit aus“
„Das ist kein Einzelfall”, unterstreicht der Flüchtlingsrat. Immer wieder würden die Altersangaben der jungen Flüchtlinge nicht ernst genommen, und es gebe Mediziner, die auch noch einem Schwerstverletzten die Reisefähigkeit attestierten. Bis zu 2000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelangen jedes Jahr nach Deutschland. Sie kommen vor allem aus Afghanistan, Somalia und aus dem Irak. „Das Kindeswohl muss vorgehen, ein Abschiebeverfahren sollte hier nicht mit voller Härte durchgezogen werden”, meint Hügel.
Monika Düker, NRW-Landesvorsitzende der Grünen, sieht das genauso. „Ich erwarte, dass die Ausländerbehörden im Rahmen ihres Ermessensspielraums menschlich handeln.” In diesem Fall habe man sich auch nicht an geltende Erlasse gehalten. „Selbstmordgefahr schließt Reisefähigkeit aus”, unterstreicht Düker. Außerdem müsse nicht vertrauenswürdigen „Abschiebeärzten” das Handwerk gelegt werden.
Das Ausländeramt in Heinsberg, wo Hakim gemeldet ist, sagt, dass „derzeit keine weiteren Maßnahmen” gegen den Flüchtling geplant seien. Er verhalte sich ruhig und lerne Deutsch.