Dorsten. .
Die Entscheidung des Dorstener Ausländeramtes, Ana Maria D. im Juni 2005 ohne ihre zweijährige Tochter nach Angola abzuschieben, war rechtswidrig. Die Kosten - inklusive 102.000 Euro für einen Charterflug - trägt nun der Steuerzahler.
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„Eklatant rechtwidrig“ - so drastisch formulierte es gestern Dr. Martin Brodale, Vorsitzender Richter der 11. Kammer des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts. Dort versuchte die Stadt, die Forderung von Abschiebekosten in Höhe von rund 32 000 Euro gegen die Mutter geltend zu machen. Die Frau kehrte 2008 nach Deutschland zurück und lebt heute mit ihrer Tochter und dem Vater in Pforzheim.
Noch im Gericht verzichtete die Stadt, vertreten durch die Leiterin des Ausländeramtes auf ihre Forderung. Die Kosten bleiben damit dem Steuerzahler, den die Aktion wohl noch deutlich teurer kommt. Auf 102 000 Euro hätten sich die Kosten für den eigens gebuchten Charterjet belaufen, merkte die Kammer an. Außerdem erwägt der Anwalt von Ana Maria D. strafrechtliche Schritte gegen die Stadt. In Rede stehen unter anderem Freiheitsberaubung und Schmerzensgeld.
Ihm sei „kein anderer Fall bekannt, in dem die Trennung einer Mutter von ihrem Säugling durchgesetzt wurde“, führte der Vorsitzende aus. Auch der Versuch, ein Kleinkind in das Land mit der weltweit zweithöchsten Kindersterblichkeit abzuschieben, sei nicht nachzuvollziehen. Das Kind wäre damit „schwersten Gefährdungen bis zum Tod“ ausgesetzt worden. Das sei bis heute gängige Rechtsprechung aller Gerichte. Somit habe ein eindeutiges Abschiebungsverbot für das Kind bestanden, ebenso ein Abschiebehindernis für die Mutter.
Im übrigen widerspreche die Trennung von Mutter und Kind „dem Menschenbild der Verfassung“, die in Art. 6 Grundgesetz die Familie unter besonderen Schutz stellt. „Das alles wurde mit einem Federstrich weggewischt“, erkannte der Richter. In dieser Konstellation habe „zu keiner Zeit ein Ermessen bestanden“, das es erlaubt hätte, diese Abschiebung durchzusetzen. Im übrigen habe die Behörde „deutlichste Hinweise“ der Pforzheimer Verwaltung ignoriert. Die hatte vor dem Abflug darauf hingewiesen, dass der Tatbestand der Kindesentziehung erfüllt sein könnte.
„Ich möchte hier nicht sitzen, wenn das Kind tot wäre“
Den Abschiebungsschutz, den das Bundesamt für Flüchtlinge für das Kind verfügt hatte, hob das Dorstener Ausländeramt eigenmächtig auf. „Nicht nachvollziehbar“, nannte das die Kammer, ebenso wie die Begründung, Mutter und Kind könnten gemeinsam abgeschoben werden, weil sich laut einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes „die Versorgungslage in Angola verbessert“ habe. „Darüber hat das Bundesamt zu entscheiden, nicht ein einzelner Sachbearbeiter aufgrund eines Lageberichts“, schrieb Dr. Martin Brodale der Amtsleiterin ins Stammbuch.
Eine Duldung, möglicherweise sogar eine Aufenthaltserlaubnis hätte mithin für das Kleinkind ausgesprochen werden müssen, bilanzierte der Richter. Und: „Dass ich die Mutter eines Kleinkindes nicht abschieben darf, drängt sich dermaßen auf, dass es keiner Begründung bedarf.“ Die Behörde können noch von Glück sagen, dass die gemeinsame Abschiebung misslang, betonte der Vorsitzende. „Ich möchte hier nicht sitzen, wenn das Kind tot wäre.“
Den Rat der Stadt informierte am Abend Gerd Baumeister, als Dezernent zuständig für das Ausländeramt. Es habe „einen Rechtsanwendungsfehler“ gegeben, so der Beigeordnete. „Es trifft mich persönlich schwer, weil das sehr gravierende Auswirkungen für die Betroffenen hatte.“Baumeister kündigte „Überlegungen für bessere Kontrollen der Rechtmäßigkeit“ an.