Berlin. .

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe meint, der Protest einiger Politiker gegen den Castor-Transport sei „der Gipfel der Heuchelei“. Claudia Roth hält dagegen. Währenddessen wächst sich der Transport zur Nervenprobe aus.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat Spitzenpolitiker der Grünen für ihre Beteiligung an den Anti-Atom-Demonstrationen rund um den Castor-Transport heftig kritisiert. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin habe 2001 als damaliger Bundesumweltminister zur Besonnenheit geraten und die Grünen aufgefordert, nicht zu demonstrieren. „Jetzt setzt man sich an die Spitze, fährt gleich auf dem Traktor als Trittbrettfahrer mit, fröhlich vereint mit Gregor Gysi und anderen“, sagte Gröhe am Montag in Berlin. Das sei „Doppelzüngigkeit in Person“ und „der Gipfel der Heuchelei“.

“Besonders bitter ist das Verhalten der Opposition in diesem Zusammenhang, nicht zuletzt der Spitze der Grünen“, sagte Gröhe. Friedliches Demonstrieren gehöre zu einer Demokratie dazu. „Man muss aber genau so klar sagen: Wir erwarten, dass sich alle demokratischen Kräfte, alle friedlichen Demonstranten ohne Wenn und Aber von gewaltbereiten Chaoten distanzieren“, sagte Gröhe. Wer Einsatzfahrzeuge in Brand zu setzen versuche oder Schotter aus den Gleisanlagen entferne, begehe „inakzeptable Rechtsverstöße“.

Heute ganz andere Voraussetzungen

Grünen-Chefin Claudia Roth hält dagegen. Sie selbst nahm an den Protesten aktiv teil - und verteidigt ihre Position: Der Castor-Transport finde heute unter ganz anderen Voraussetzungen statt als zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung, sagte Roth. „Damals wurde der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Jetzt hat Schwarz-Gelb die Laufzeitverlängerung beschlossen.“ Auch habe die schwarz-gelbe Koalition den Baustopp für Gorleben aufgehoben, obwohl das Bergwerk als Endlager nicht geeignet sei.

Roth forderte Politiker von Union und FDP auf, ins Wendland zu kommen und selbst mit den Menschen zu sprechen. Es gebe in der Region kaum eine Familie, die nicht an den Protesten beteiligt sei, sagte sie. Der Versuch der Bundesregierung, den breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand zu kriminalisieren, sei „billig und altbekannt“. Dies sei ein sehr fragwürdiges Verständnis von Demokratie und werde die Menschen wütend machen.

Die Grünen-Chefin warf Union und FDP vor, lediglich von ihrer „falschen Atompolitik“ ablenken zu wollen. Die breiten Proteste seien auch Ausdruck eines bürgerlichen Aufbegehrens gegen die Arroganz der Macht, über die Köpfe der Menschen politische Vorhaben durchsetzen zu wollen.

Stundenlange Verzögerungen

Der Castor-Transport wächst sich zur Nervenprobe aus. Der Atommüll aus der nordfranzösischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague traf am Montag erst nach stundenlangen Verzögerungen am Verladebahnhof im niedersächsischen Dannenberg ein. Während die Castor-Behälter dort vom Zug auf Tieflader gehievt wurden, rüsteten sich Atomkraftgegner für weitere Blockaden auf dem letzten Streckenabschnitt zum Zwischenlager Gorleben. Dort werden die Behälter nun für Dienstag erwartet. Polizeigewerkschafter warnten, die Beamten seien am Ende ihrer Kräfte.

Die elf Spezialbehälter mit 123 Tonnen Atommüll aus der Wiederaufarbeitung waren am Freitag in Nordfrankreich gestartet. Allein auf der Schiene war sie gut 67 Stunden unterwegs - deutlich länger als frühere Castor-Transporte. Die größte Verzögerung erreichten Atomkraftgegner mit einer Massen-Sitzblockade von zeitweise bis zu 5.000 Protestierenden auf dem letzten Schienenabschnitt vor Dannenberg. Die Polizei nahm bei der Räumaktion am frühen Montagmorgen etwa 1.000 Menschen vorübergehend in Gewahrsam, bevor der Zug weiterrollen konnte.

Bauern blockierten mit Traktoren

Am Montag organisierten die Gegner dann die nächste Blockade auf der Straße direkt vor dem Zwischenlager Gorleben. Nach Angaben der Organisatoren saßen dort bereits tagsüber 2.000 Menschen auf der Straße, weitere wurden erwartet. Zudem blockierten Bauern mit Traktoren immer wieder Bundesstraßen rund um das Zwischenlager. Die Castoren sollten sich frühestens am Montagabend auf der Straße in Bewegung setzen.

Am Wochenende hatte es im Wendland Massendemonstrationen und teils auch gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben. Demonstranten versuchten, die Gleise an der Transportstrecke zu unterhöhlen. Dagegen ging die Polizei vor. Dabei wurden nach Angaben der Aktion „Castor schottern“ am Sonntag 950 Aktivisten durch Reizgas oder Pfeffersprays verletzt. Daneben berichteten die Aktivisten von 16 Brüchen, 29 Kopfplatzwunden und drei Gehirnerschütterungen.

Polizei sprach von massiven Angriffen

Die Polizei sprach ihrerseits von massiven Angriffen. „Aus den extrem aggressiven Personengruppen wurden Polizeibeamte unter anderem mit Reizstoffen besprüht, mit Steinen beworfen sowie mit Pyrotechnik und Signalmunition beschossen“, teilte die Einsatzleitstelle mit. Insgesamt waren laut Polizei 7.000 Atomkraftgegner an Straßenblockaden und Gleisbesetzungen beteiligt.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) beklagte eine Überlastung vieler Beamter. Teilweise hätten Einsatzkräfte 24 Stunden oder noch länger Dienst am Stück schieben müssen, erklärte der Berliner Landesbezirksvorsitzende Michael Purper. Auch seien die Beamten schlecht versorgt worden.

Die Bundesregierung dankte den Einsatzkräften ausdrücklich. Aus der schwarz-gelben Koalition wurden zudem heftige Vorwürfe gegen die Demonstranten laut. Die parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium, Katherina Reiche (CDU), beklagte die „größte Gewalteskalation seit vielen Jahren“ und gab der Opposition aus SPD und Grünen eine Mitschuld.

„Sternstunde des gewaltfreien Widerstandes“

Grüne, SPD und Linke verteidigten dagegen die Proteste. Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke sagte, sie habe mit eigenen Augen gesehen, wie „die Staatsgewalt rücksichtslos zugeschlagen hat“. Linke und Grüne beantragten eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu dem Einsatz.

Der Sprecher der Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, zog eine positive Bilanz der Proteste, auch wenn er der Polizei zum Teil rechtswidriges Verhalten vorwarf. Ehmke sagte, es sei deutlich geworden, dass der Widerstand gegen Atomkraft und den Endlagerstandort Gorleben in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Die Aktionen der Castor-Gegner seien größtenteils friedlich gewesen. Der Sprecher der Initiative „ausgestrahlt“, Jochen Stay, nannte die Sitzblockade auf den Schienen eine „Sternstunde des gewaltfreien Widerstandes“. (dapd)