Dahlenburg. .

Die Gewerkschaft der Polizei beklagt eine massive Überlastung vieler Beamter beim Castor-Einsatz. Die Castor-Gegner konzentrieren sich nun auf die Sitzblockade auf der Straße direkt vor dem Zwischenlager Gorleben.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat beklagt, dass viele Beamte beim Castor-Einsatz massiv überlastet waren. Teilweise hätten Einsatzkräfte 24 Stunden oder noch länger Dienst am Stück schieben müssen, erklärte der Berliner Landesbezirksvorsitzende der GdP, Michael Purper, am Montag. „Nicht nur über die endlosen Dienstzeiten haben Einsatzkräfte mit Recht Klage geführt, sondern auch darüber, dass sie in der Kälte teilweise nicht oder nur sehr spät mit heißen Getränken oder einer Suppe versorgt wurden.“

Die mangelnde Versorgung liege aber nicht an den Versorgungskräften, die auch bis zur Erschöpfung gearbeitet hätten, „sondern daran, dass sie nicht darüber informiert wurden, wo die Einsatzkräfte im weiten Wendland stehen“.

Purper wies darauf hin, dass das Land Berlin zusätzlich zwei Einsatzhundertschaften und Teile einer technischen Einsatzeinheit mit schwerem Gerät nach Niedersachsen verlegt habe. Davon sind 8 von 16 Berliner Einsatzeinheiten im Wendland.Purper stellte fest: „Wir haben seit Jahren kritisiert, dass auf dem Rücken der Polizei politische Entscheidungen und Fehler ausgetragen werden. Ob in Stuttgart oder heute im Wendland, meine Kolleginnen und Kollegen kommen wegen politischer Fehlentscheidungen nicht mehr aus ihren Einsatzanzügen.“

Angeblich 1.000 Verletzte bei „Castor schottern“

Bei der Aktion „Castor schottern“ sind am Sonntag im Wendland nach Angaben der Organisatoren rund 1.000 Demonstranten verletzt worden. 950 Aktivisten hätten Augenverletzungen durch Pfefferspray, Tränen- und CS-Gas erlitten, sagte der Sprecher der Initiative „Castor schottern“, Christoph Kleine, am Montag in Dannenberg. Zudem seien bei den Demonstranten 16 Brüche, 29 Kopfplatzwunden und drei Gehirnerschütterungen registriert worden. Zwei Atomkraftgegner hätten im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Die Polizei hatte am Sonntag den Versuch mehrerer tausend Menschen unterbunden, Schottersteine aus dem Gleisbett der Castorstrecke zu räumen. Dabei war es vor allem rund um den Bahnhof Leitstade zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Polizei und Castorgegner warfen sich gegenseitig vor, die Gewalttaten begonnen zu haben. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen etwa 1.700 Unterstützer von „Castor schottern“ wegen des Aufrufs zu Straftaten.

Straßenblockierer vor Gorleben wollen ausharren

Der Castor-Transport in das Zwischenlager Gorleben hat am Montagmorgen Dannenberg erreicht. Nach mehr als 67 Stunden Fahrt lief der Zug mit elf Behältern für hochradioaktiven Müll um 9.26 Uhr in den Bahnhof Dannenberg-Ost ein. An der Verladestation wurde der Castor-Zug von etwa 300 Demonstranten mit einem gellenden Pfeifkonzert begrüßt. Die Stimmung war zunächst aber friedlich.

Die letzten 20 Kilometer ins Zwischenlager Gorleben müssen die Castor-Behälter auf der Straße transportiert werden. Dazu sollen die tonnenschweren Behälter im Verladebahnhof von Dannenberg auf Tieflader verfrachtet werden. Bis die Behälter, die insgesamt 154 Tonnen hochradioaktiven Atommüll enthalten, auf den Lkw liegen, können mehrere Stunden vergehen.

Straßenblockierer vor Gorleben wollen ausharren und erwarten Verstärkung

Nach der Räumung der letzten Schienen-Blockade nahe Hitzacker konzentrieren sich die Castor-Gegner im Wendland nun auf die Sitzblockade auf der Straße direkt vor dem Zwischenlager Gorleben. Die Sprecherin der gewaltfreien Aktion „x-tausendmalquer“, Luisie Neumann-Cosel, sagte am Montagmorgen der Nachrichtenagentur dapd, nach wie vor seien mehr als 1.600 Menschen auf der Straße. Die kalte, aber trockene Nacht sei ruhig gewesen. Es habe ausreichend Strohsäcke, Isomatten sowie warmes Essen und Getränke gegeben.

Sie bekräftigte, die Initiative sei „entschlossen, bis zur Ankunft des Castor-Transports auszuharren“. Dies dürfte aber frühestens am späten Abend oder in der Nacht zum Dienstag der Fall sein, denn die elf Castor-Behälter mit der strahlenden Fracht müssen noch in der Verladestation Dannenberg von der Bahn auf Straßentieflader gehievt werden. Dies könnte nach offiziellen Angaben bis zu 15 Stunden dauern.

Neumann-Cosel sagte, sie rechne nun mit weiterem Zulauf zu der Sitzblockade, die sich über gut 500 Meter lang hinzieht. Von der Polizeisperre, die die Blockade in Richtung Zwischenlager begrenzt, ist die Castor-Halle für hochradioaktiven Müll nur etwa einen halben Kilometer entfernt.

Räumung der Castor-Strecke weitgehend friedlich

Die Räumung der Schienenblockade von etwa 3.000 Castorgegnern im Wendland ist in der Nacht zum Montag nach Polizeiangaben friedlich verlaufen. Die Bürgerinitiative „x-tausendmal quer“ sprach von einem „verhältnismäßig friedlichen“ Vorgehen der Beamten. Es habe nur vereinzelte Zwischenfälle gegeben. Allerdings seien die erschöpften Beamten im Lauf des stundenlangen Einsatzes rabiater geworden. Die Grünen verteidigten die Proteste.

Die Polizei sprach zunächst von 2.000 Blockierern, später von 3.000. Sie begann die Räumung gegen 1.40 Uhr mit einem starken Aufgebot. Zunächst forderte die Polizei die Demonstranten mehrmals auf, die Schienen zu verlassen. Von den Organisatoren kam dagegen der Aufruf „Sitzenbleiben!“. Nur wenige leisteten der Polizeiaufforderung Folge. Daraufhin fingen die Beamten an, die Demonstranten von den Schienen zu tragen. Am Rande des Gleisbettes wurden sie dann zu abgesperrten Gebieten begleitet.

Sitzblockade komplett geräumt

Die letzten Demonstranten wurden um kurz vor 7.00 Uhr von der Polizei weggetragen. Nach Angaben der Polizei wurde bei der Räumung eine junge Frau verletzt. Sie habe sich beim Wegtragen gewehrt und sei dabei aus dem Haltegriff der Polizisten mit dem Kopf auf die Erde gefallen, sagte der Sprecher der Einsatzleitung. Sie sei von Ärzten versorgt worden. Vonseiten der Castorgegner wurde dies zunächst nicht bestätigt. Nach der Räumung der Castor-Sitzblockade auf den Schienen bei Harlingen hatte die Polizei etwa 1.000 Demonstranten in Gewahrsam genommen. Das bestätigte ein Sprecher auf dapd-Anfrage.

Polizei und Castorgegner führten den weitgehend friedlichen Verlauf zurück auf ein sogenanntes Kooperationsgespräch unter Vermittlung von Kirchenvertretern. Nach Angaben von Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg, sollte mit einem solchen Runden Tisch ein „exzessiver Einsatz von Polizeigewalt“ vermieden werden.

Lehren aus Eskalation vom Sonntag gezogen

Im Verlauf des Sonntags war es vor der schwierigsten Etappe des Castor-Transports ins niedersächsische Atommülllager Gorleben zu massiven Ausschreitungen gekommen. Die Polizei ging teils mit berittenen Beamten sowie Schlagstöcken, Wasserwerfern und Reizgas gegen zeitweise mehrere tausend Demonstranten vor, die immer wieder versuchten, die Bahnstrecke von Lüneburg zum Verladebahnhof in Dannenberg zu besetzen und den Schotter aus dem Gleisbett zu räumen. Einige Demonstranten warfen Feuerwerkskörper, Stöcke und Erdklumpen auf die Polizei und setzten einen Polizei-Räumpanzer in Brand.

Der Castor-Transport war am Freitag im französischen La Hague mit 123 Tonnen hochradioaktivem Atommüll gestartet und sollte am Montag im Atom-Zwischenlager Gorleben ankommen. Am Sonntagnachmittag hatte sich der Zug gegen 18 Uhr auf die letzten 50 Kilometer Bahnstrecke gemacht. Zwei Stunden später musste er bei Dahlenburg wegen der Sitzblockade auf dem Weg zum Zielort Dannenberg einen Stopp einlegen.

Grüne verteidigen Proteste

Grünen-Chefin Claudia Roth verteidigte die Proteste gegen den Castor-Transport. „Schwarz-Gelb hat einen gesellschaftlichen Konsens aufgerissen und damit die Bürger provoziert“, sagte Roth mit Blick auf die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Der Widerstand sei deshalb viel breiter als früher. Es sei nicht neu, dass Atomkraftgegner den Schotter aus dem Gleisbett wühlten, um die Eisenbahnwaggons mit den Castorbehältern aufzuhalten. „Neu ist, dass sich diesmal so viele Gruppen beteiligen“, sagte Roth, die sich selbst an einer Sitzblockade in Gorleben beteiligt hatte. Sie betonte, der Protest müsse friedlich ablaufen. Die Grünen hätten ausdrücklich nicht zum sogenannten Schottern der Bahngleise aufgerufen.

Roths Co-Vorsitzender Cem Özdemir rief die Gegner des Castor-Transportes und die Kritiker des Bahnhofsprojekts „Stuttgart 21“ zum Engagement in Parteien auf. „Ich würde mir sehr wünschen, dass möglichst viele dieser sehr gut informierten, gebildeten und engagierten Menschen aller Altersgruppen und Herkunft auch den Weg in die organisierten Verbände, Parteien und Parlamente suchen“, schrieb Özdemir in einem Beitrag für das „Hamburger Abendblatt“ (Montagausgabe). Die protestierenden Menschen im Wendland wie in Stuttgart seien weder „naiv-idealistisch noch materiell-egoistisch, noch radikal“. (dapd/rtr)