Essen. .
Nikolaus Schneider soll am Dienstag auch offiziell zum obersten Protestanten im Land gewählt werden. Der Nachfolger von Margot Käßmann kommt aus Rheinhausen – und ist ein Sohn des Ruhrgebiets geblieben.
Spätestens, wenn Nikolaus Schneider im kleineren Kreis zu reden beginnt, merkt der Zuhörer: Das ist ein Sohn des Ruhrgebiets. Und das nicht etwa wegen der Aussprache, nein, die ist schon seinem Wirkungsort Düsseldorf angepasst. Es ist die Art, wie der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland redet, es ist seine direkte Art. Er geht offen auf die Leute zu, kommt ohne Umschweife auf den Punkt. Der Sohn einer Stahlarbeiterfamilie aus Duisburg-Huckingen ist kein Verschnörkeler. Er macht auch nicht viel Aufhebens von seinem Amt.
Bei den Menschen kommt das an. Er spüre das auch gerade jetzt bei seinen Besuchen in den Kirchenkreisen, sagt er. Das dürfte ihm den nötigen Halt geben, wenn morgen womöglich eine neue Aufgabe auf den 63-Jährigen zukommt. Denn dann wählt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einen neuen Ratsvorsitzenden. Nikolaus Schneider, der einstige Stahlarbeiter-Pfarrer von Rheinhausen, hat beste Chancen, das Amt zu übernehmen.
Er wäre dann der höchste Repräsentant der 25 Millionen Protestanten in Deutschland, das Gesicht der evangelischen Kirche sozusagen. Dabei hat er sich überhaupt nicht danach gedrängt. „Nein. Mein Ziel war es nicht“, gesteht er im WAZ-Gespräch. „Es hat sich ergeben.“ Und „ergeben“ hat es sich, weil Margot Käßmann, die prominenteste Bischöfin, das Amt im Februar nach einer Alkoholfahrt abgegeben hat. Seither war Schneider amtierender Vorsitzender, und die Kirche war offenkundig mehr als dankbar, dass er alles so macht, wie er es macht. Unaufgeregt, professionell, hochkompetent. Er steht unangefochten auf Nummer Eins. „Ich will nicht verhehlen“, gesteht Schneider im Rückblick auf die Arbeit, „dass es durchaus Freude macht.“
Respekt vor der Wahl
Dass er gewählt wird, ist für Beobachter keine Frage. Schneider ist vorsichtiger. „Das wollen wir mal in Ruhe abwarten“, winkt er ab. Er sei so geprägt, dass er großen Respekt vor der Freiheit der Synode bei der Wahl habe.
Mit ihm erhielte sie jedenfalls keinen politischen Drückeberger an ihrer Spitze. Der Theologe hat bereits als rheinischer Präses ein entschieden sozial ausgeprägtes Profil gezeigt. Sein Herz schlägt eher links. Er vergisst halt seine Wurzeln aus einer Arbeiterfamilie trotz seiner hohen Ämter nicht. Leicht wird es die Politik mit ihm nicht haben.
Das gilt nicht nur für soziale Fragen. Klare Kante zeigt der Kirchenmann auch in der Debatte über die Migration. „Gut“ habe er gefunden, dass der Bundespräsident den inzwischen heftig diskutierten Satz ausgesprochen habe: „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“. Es sei der Tatsache geschuldet, dass vier Millionen Muslime hier leben. Doch wer daraus den Schluss zieht, Schneider fahre einen unverfänglichen Kuschelkurs, irrt. Denn gleichzeitig fordert er einen Islam ein, der „akademisch diskursfähig“ ist, also einen, der den Koran nicht nur wörtlich nimmt, sondern auch dessen historische Einordnung akzeptiert. „Ich bin froh, dass es jetzt Ansätze dazu in unserem Land gibt“, sagt Schneider. „Aber der Islam hat an dieser Stelle noch einen weiten Weg vor sich.“ Überhaupt nicht verhandelbar sind für ihn die Anerkennung der Trennung von Staat und Kirche, von religiösem Gesetz und weltlichem. Leicht werden es also auch die Muslime nicht mit ihm haben.
Vater dreier Töchter
Leicht wird es aber auch der Familienmensch Schneider künftig nicht haben. Mit der Freiheit über seine persönliche Zeit wird es dann erst einmal vorbei sein. Muße mit den Seinen – er hat zwei erwachsene Töchter, seine dritte Tochter starb 2005 an Leukämie – Kinobesuche mit seiner Frau Anne, Wandern, „oder auch mal einen Tag ganz für uns zu haben“ – es wird wohl an den Rand rücken.
Reine Aufopferung wäre das neue Amt aber keineswegs. „Es ist spannend, wenn wir uns im Rat zu wesentlichen Fragen austauschen“, schwärmt der fußballbegeisterte Theologe. „Es ist eine intellektuelle Freude.“ Er kommt sofort auf den Punkt. Ein Sohn des Ruhrgebiets.