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Der Aufschwung am Arbeitsmarkt ist da. Und Fachkräfte werden zunehmend rar. Vor allem die Industrie stellt daher gern wieder Ältere ein - auch im Ruhrgebiet. Drei Neue der Aluhütte Trimet sagen, wie sich das anfühlt.
Der Aufschwung ist da – und diesmal hat er auch Hans Skubicki erfasst, hat ihn aus einem „tiefen Loch” geholt, in dem der 57-Jährige steckte. Nach 22 Jahren im alten Betrieb gekündigt, zuerst noch mit Leiharbeit über Wasser gehalten und schließlich abgerutscht in Hartz IV war der Gelsenkirchener. Auf seine geschätzten 150 Bewerbungen erhielt er nicht mal Absagen, die Hoffnung schwand. Dass er jetzt wieder strahlt, und zwar über beide Ohren bis zum Brillenbügel, liegt an einem „Sechser im Lotto“. So nennt er seine neue Stelle bei Trimet. Der Essener Aluminiumproduzent hat Skubicki im Mai eingestellt – und mit ihm ein Dutzend weiterer Mitarbeiter im erfahrenen Alter.
Dass Fachkräfte rar werden und deshalb auch Menschen, deren Alter die Arbeitsagentur so uncharmant „Vermittlungshemmnis“ nennt, wieder gefragt sind, steht seit Monaten immer wieder zu lesen. Ulrich Kanders vom Essener Unternehmerverband bestätigt das für das gesamte mittlere Ruhrgebiet: „Den Fachkräftemangel gibt es. Die Unternehmen behelfen sich mit Leiharbeitern, aber es gibt auch wieder mehr Festanstellungen, gerade von Älteren.“
„Alter interessiert uns nicht“
Hier, im Essener Norden, im größten Aluwerk Deutschlands, lässt sich das auch beobachten. Wie so viele Industrieunternehmen hat Trimet in der Krise seine Leute mit Kurzarbeit gehalten – und stellt seit dem Frühjahr wieder kräftig ein, insgesamt 168, in der Essener Zentrale 38 Mitarbeiter. Jeder dritte ist älter als 40, viele haben auch ihren 50. Geburtstag hinter sich. „Wir gehen nur nach Qualifikation, das Alter interessiert uns nicht“, sagt Vorstand Martin Iffert, „doch oft sind es die Älteren, die diese Qualifikationen mitbringen.“ Zudem seien sie sehr zuverlässig und motiviert.
Die Zehn-Jahres-Bilanz der Älteren
Mit 8,4 Prozent liegt die Arbeitslosenquote der 55- bis 65-Jährigen bundesweit noch immer über dem Durchschnitt von 7,0 Prozent, im Ruhrgebiet mit 11,0 Prozent allerdings genau im dortigen Schnitt. Vor zehn Jahren lag ihre Quote aber bundesweit bei noch rund 20 Prozent. Insgesamt waren vor zehn Jahren 792 000 Über-55-Jährige arbeitslos, heute sind es noch 513 000.
Dazu passend sind deutlich mehr Ältere sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem Jahr 2000 haben sich die Erwerbstätigenzahlen aller Altersgruppen über 40 deutlich erhöht, bei den 60- bis 65-Jährigen sogar von rund 550 000 auf mittlerweile 1,1 Millionen fast verdoppelt. Ihre Beschäftigungsquote hat sich binnen zehn Jahren auf knapp 40 Prozent ebenfalls verdoppelt.
In der Alu-Gießerei werden solche Leute gebraucht. Leute wie Georg Reppmann und Anatoly Goncharov. Die beiden 46-Jährigen arbeiten in der Gießerei. Die Belegschaft ist qualifiziert und international, deshalb nennen sie es die „hot side“, an der Reppmann eine 600 Grad heiße Alulegierung im riesigen Ofen mischt – und die „cold side“, an der Goncharov das erkaltete Leichtmetall in passende Blöcke „sägt“. Allein die Einarbeitung dauert sechs bis acht Monate, weshalb Leiharbeit „für uns in der Produktion keine Lösung ist“, wie Iffert sagt.
Sechs Jahre in Hartz IV
Reppmann ist von der gleichen Firma gefeuert worden wie Skubicki, nur zwei Sozialpläne früher. Bei Trimet haben sie sich wiedergetroffen. „Ich hatte mehr Glück“, sagt er und meint, dass er nie arbeitslos war. Zuletzt war er Leiharbeiter, aber einer, der „nicht ausgebeutet“ wurde, wie er sagt. „Ich verstehe, wenn jemand sagt, für sieben Euro die Stunde arbeite ich nicht. Das hätte ich auch nicht getan.“
Goncharov gehörte sechs Jahre zur Schar ausländischer Fachkräfte, die hoch qualifiziert, aber arbeitslos sind. Der Diplom-Vermessungstechniker ist Usbeke und lernte die deutsche Arbeitswelt nur in Ein-Euro- und Minijobs kennen. Vom Arbeitsamt sei er von einer Maßnahme in die nächste gesteckt worden, habe aber nicht einen echten Job angeboten bekommen. „Die haben mich nur gefragt, warum arbeiten Sie nicht?“, sagt er und schüttelt den Kopf. Von Hartz IV zu leben, sei mit seiner vierköpfigen Familie „nicht einfach“ gewesen. Seit August hat er auf eigene Initiative eine richtige Arbeit, zum ersten Mal in Deutschland. Der Schichtdienst ist hart, die Kollegen sind herzlich. Beides zusammen ergibt für ihn „ein gutes Gefühl“.
Selbstbewusstsein fehlt
Dass es trotz der guten Arbeitsmarktzahlen noch immer viele Ältere gibt, die vergeblich eine Stelle suchen, weiß ein anderer Essener Mittelständler aus der Metallindustrie nur zu gut. Auch er hat in diesem Jahr mehrere von ihnen eingestellt, früher auch bewusst arbeitslose „Thyssianer”, denn „die sind super“. Den Namen seiner Firma will er nicht in der Zeitung sehen, weil „sonst unsere Personalabteilung in einer Flut von Bewerbungen ertrinkt“. Das sei immer so, wenn sich herumspreche, dass er Ältere einstellt.
Dabei hat der Geschäftsführer die traurige Erfahrung gemacht, wie sehr in Jahren der Arbeitslosigkeit das Selbstbewusstsein verloren geht. „Die Leute entschuldigen sich zigmal für ihr Alter, ich kann das nicht mehr hören. Die reden sich auch ein, dass sie nicht mehr gebraucht werden.“ Er kenne kaum noch Personalchefs, die Ältere gleich aussortieren. „Die sterben langsam aus.“