Islamabad.

Von schwere Fluten wurde Pakistan gebeutelt, ganze Landstriche verwüstet. Noch immer steht das Wasser an vielen Stellen knietief. Und nun folgt die Hungerkatastrophe.

Ein paar kümmerliche Kartoffeln liegen in einer großen Kiste. Bei den Tomaten herrscht gähnende Leere. Der Zwiebelvorrat erinnert zwar an die Zeiten vor Pakistans massiven Überschwemmungen im August. Aber die Preise sind so hoch, dass sich kaum jemand die Ausgaben leisten will.

„Ich habe nicht mehr genug Geld zum Großeinkauf“, sagt der 42-jährige Munawar Ali, „die Lebensmittel sind so teuer geworden, dass mein Kapital für mehr nicht reicht.“ Der Basarhändler leidet, obwohl die Flut nie näher als rund 50 Kilometer an seinen Marktstand inmitten der Hauptstadt Islamabad auf dem Farooqia Markt herangekommen ist.

In der Umgebung liegen schmucke Ein-Familien-Häuser, deren Bewohner die Überschwemmungen allenfalls im Fernsehen beobachtet haben.

Aber sechs Wochen nach Beginn der schlimmsten Überschwemmungen seit fast 80 Jahren wird deutlich: Die Flut hat nicht nur mehr als 20 Millionen Menschen direkt betroffen und zwei Millionen Menschen obdachlos gemacht. Die Folgen treffen nicht nur die rund zehn Millionen Menschen, die seit der Katastrophe von Nahrungsmittelhilfe abhängen und sich langsam auf einen kargen Winter vorbereiten müssen. Das Wasser, das in Teilen der Provinz Sindh noch immer knietief steht, bedroht das gesamte Wirtschaftsgefüge der etwa 170 Millionen Einwohner zählenden islamischen Nation.

„Ich sage meinem Mann jedes Mal: Kaufe weniger ein, das Geld wird knapp“, klagt die 34-jährige Humera Qereshi, Mutter von zwei Kindern. Ihr Gatte arbeitet bei Wapda, den staatlichen Strom-und Wasserversorgungswerken. Humera Qereshi selbst ist als Sekretärin bei einer pakistanischen Firma angestellt. Vor den Überschwemmungen herrschte in Pakistan bereits eine Inflation von rund 13 Prozent. Nach der Katastrophe sind im ganzen Land die Lebensmittelpreise so sehr in den Himmel geschossen, dass auch die Mittelklasse, die direkt gar nicht von dem Wasser betroffen war, nun leidet.

Kartoffeln kosten pro Kilo jetzt 75 statt 20 Rupien (75 Cents statt 20 Cents) vor der Flut, Kohl ist von 25 auf 120 Rupien gestiegen. Für Zwiebel müssen Kunden seit neuestem 90 Rupien statt 25 Rupien auf den Tisch legen.

Besserung nicht in Sicht

Der Preis für Reis, das Grundnahrungsmittel schlechthin, ist um das Dreifache geklettert. Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht. Denn die Überschwemmungen zerstörten nicht nur von Baumwolle bis Zuckerrohr zahlreiche Ernten. Angesichts nasser Böden und zerstörtem Saatguts dürfte es auch so gut wie ausgeschlossen sein, dass Pakistans Agrarzyklus in diesem Herbst wieder in die Gänge kommt. Das Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe der Vereinten Nationen (OCHA) warnt bereits vor dem Winter. Denn viele Gegenden mit Flutopfern könnten dann wieder von der Außenwelt abgeschnitten werden.

Die Not der Betroffenen und die Engpässe der Mittelklasse stellen eine hochexplosive Mischung dar, wie mittlerweile sogar manche Politiker des Landes zugeben.

5000 Kilometer
Straße zerstört

„Wenn wir keinen vernünftigen Job machen“, sagt etwa Shahbaz Sharif, Bruder des Oppositionsführers Nawaz Sharif und Ministerpräsident der 80 Millionen Einwohner zählenden Provinz Punjab, „könnten die Leute Richtung Lahore marschieren und die Elite nicht mehr verschonen.“

Doch in Pakistan klafft eine riesige Lücke zwischen den Notwendigkeiten auf der einen sowie den Möglichkeiten auf der anderen Seite. Die Überschwemmungen zerstörten 5000 Kilometer Straßen. Etwa 7000 Schulen wurde beschädigt oder weggeschwemmt. Premierminister Yusuf Raza Gilani bezifferte die Schäden auf über 40 Milliarden US-Dollar.

In den Büros von Helferorganisationen tobt der unerbittliche Kampf zwischen Gebern, die so schnell wie möglich die Infrastruktur wieder aufbauen wollen, und den Verfechtern von Strukturreformen. Diese haben andere Vorstellungen vom Aufbau. Doch welche, das muss erst in Verhandlungen herausgefunden werden.