Berlin. .

Beim Bundesparteitag der SPD steht der Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky im Rampenlicht. Der „Dorfschulze“ soll beim Spagat in der Integrationsdebatte helfen.

Normalerweise schickt der Berliner Bezirksbürgermeister seine unverblümten Botschaften vom Neuköllner Rathaus aus in die Welt - unter den argwöhnischen Blicken seiner Parteifreunde. Jetzt nehmen ihn die Sozialdemokraten in ihre Mitte. Der streitbare Kommunalpolitiker steht am Sonntag beim Bundesparteitag der SPD auf dem Podium neben Parteivize Olaf Scholz und verkündet integrationspolitische Weisheiten aus dem sozialen Brennpunkt.

Die Sozialdemokraten gerieten in den vergangen Wochen wegen der Thesen des SPD-Mitglieds und scheidenden Bundesbank-Vorstands Thilo Sarrazin ins Straucheln. Die Migranten nicht vergrätzen und zugleich die Sarrazin-Sympathisanten an der Stange halten - für die SPD ein schwieriger Spagat.

Nun hat die SPD auf ihrem Parteitag im Beschluss zur Integration verstärkte Anstrengungen sowohl vom Staat als auch von den Migranten gefordert. „Wer dauerhaft zu uns kommt, hat auch die Pflicht, einen eigenen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft zu leisten, zum Beispiel durch Teilnahme an Integrationskursen“, heißt es in einer am Sonntag mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution. „Dazu brauchen wir eine konsequente und schnellere Anwendung der bestehenden Gesetze und keine weiteren Gesetzesverschärfungen.“ Der unbegründete Abbruch von Integrationskursen werde ebensowenig akzeptiert wie Schulschwänzerei.

Auf die Möglichkeit eines verpflichtenden Vorschuljahres, von dem noch in einem ersten Resolutionsentwurf die Rede war, wurde verzichtet. Stattdessen heißt es nun, es müsse „umfassende, gegebenenfalls verpflichtende Sprachförderangebote in Kitas und Vorschulen“ geben, um sicherzustellen, dass alle Kinder die gleichen Startchancen hätten.

Gabriel versuchte es glücklos in der Offensive

SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte es vor der Resolution mit Offensive versucht, hatte eine härtere Gangart gegenüber Integrationsverweigerern gefordert. Einigen Genossen war das zu viel, der politischen Konkurrenz sowieso. Buschkowsky schüttelt mit dem Kopf. Gabriel habe doch nur „selbstverständliche Sätze“ gesagt. Wer sich auf Dauer nicht integrieren wolle, sei in Deutschland fehl am Platz. „Wat?n sonst?“, meint Buschkowsky. In Berlin-Neukölln hat er jeden Tag mit Problemen zu kämpfen, die viele nur aus der Zeitung kennen: Schulen, in denen 90 Prozent Migrantenkinder sitzen, Arbeitslosigkeit, Jugendkriminalität.

„Den großen Überblick habe ich ja nicht“, kokettiert Buschkowsky. Er sei ja nur ein „Dorfschulze“. Seine lokalen Erkenntnisse will er dem Publikum aber doch nicht vorenthalten. Vieles laufe gut in der Integration, ja, aber vieles eben auch nicht. „Wir dürfen nicht die Augen vor den Realitäten verschließen“, ermahnt er seine Genossen, „in Ruhe lassen ist keine Integrationspolitik.“ Wo die Entwicklung „aus dem Ruder“ laufe, müsse man eben intervenieren.

Durchgreifen - ohne schärfere Gesetze

Gesetzesverschärfungen will Buschkowsky nicht, aber hartes Durchgreifen - etwa finanzielle Sanktionen für Eltern, die ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule schicken. Auch eine Kitapflicht ab dem ersten Lebensjahr fordert er, und ein radikales „Umkrempeln“ des Bildungssystems. Seine Strenge gilt nicht nur Zuwanderern. Auch bei den „deutschstämmigen, biodeutschen Einheimischen“ sei schließlich die Erkenntnis aus der Mode gekommen, „dass jeder für sein Leben selbst verantwortlich ist“.

Die Mitdebattierer nicken. Neben Buschkowsky steht die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan und - einen Kopf größer als der Rest - der Sozialbetreuer Lothar Kannenberg mit strapazierter Boxernase. Bei den Jugendlichen, mit denen er arbeite, greife er immer konsequent durch, sagt Kannenberg. In Ruhe lassen heiße Aufgeben. Auch Foroutan meint: „Stärke zeigen, Konsequenz zeigen, wird angenommen.“ Buschkowsky sei in seinem Bezirk extrem beliebt. Für den SPD-Politiker ist das eine Genugtuung. Bislang stand er in seiner Partei am Rand, wurde eher geschmäht als bejubelt. Nun also der innerparteiliche Segen.

Die Grünen verfolgen die Integrationsdebatte des früheren Koalitionspartners aufmerksam. Einen Tag vor dem Parteitag kamen mahnende Worte von Grünen-Chef Cem Özdemir. Er warnte die Sozialdemokraten angesichts der jüngsten Gabriel-Äußerungen vor Populismus und forderte eine Neuaufstellung in der Integrationspolitik. Die SPD dürfe sich nicht von Sarrazin „treiben lassen“, sondern müsse endlich wieder über nach vorne gerichtete Konzepte reden.

Dass die Grünen die Rolle des Besonnenen, Erfahrenen spielen, der die „ungestümen“ Sozialdemokraten zur Ruhe ruft, ist neu. Der ehemals kleine Koalitionspartner ist im Aufwind - und die Grünen wissen um das Dilemma der SPD in der Integrationspolitik. Halb mitleidig, halb schadenfreudig schauen sie auf die Zerrissenheit der Sozialdemokraten in der Frage, die Gabriel das Leben schwer macht.

Nahles giftet in Richtung der Grünen

Bei der SPD stoßen die Ratschläge des Mitbewerbers erwartungsgemäß auf wenig Begeisterung. Die Grünen sollten sich gefälligst um andere Dinge Sorgen machen, pampt SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Rande des Parteitags. „Schützenhilfe“ von der politischen Konkurrenz brauche die SPD beim Thema Integration nun wirklich nicht.

Auch Buschkowsky sagt, er sei eher „dankbar“, dass sich die Grünen in diesem Punkt von der SPD absetzten. Sollen sie doch, meint er.

Der Parteichef lobt schließlich vor versammelter Mannschaft die „guten Beispiele für Integration“ bei Buschkowsky. Gabriel ruft den Delegierten zu, der Bezirksbürgermeister habe „bessere Ratschläge“ parat „als jedes Buch von ... na Ihr wisst schon“. (dapd)