Berlin. .

Die Grünen schweben im Stimmungshoch. Aus Rot-Grün könnte demnächst auch im Bund Grün-Rot werden. Doch hätte die Partei das geeignete Personal, um ins Bundeskanzleramt einzuziehen.? Die Top-Leute der Grünen im Kanzler-Check.

Wovon Joschka Fischer höchstens träumen konnte, scheint für seine ­Erben an der Parteispitze nicht mehr unmöglich: Ein(e) Grüne(r) als Bundeskanzler(in)? In ei­ner aktuellen Meinungsumfrage des Forsa-Instituts liegen Grüne und SPD erstmals seit Gründung der Grünen gleichauf: Beide Parteien kommen demnach auf 24 Prozent.

Nur noch ein kleiner Schritt, und die einstige Öko-Nischen-Partei schiebt sich an den ­traditionsreichen Sozialdemokraten vorbei. In Baden-Württemberg und in Berlin, wo jeweils im kommenden Jahr wichtige Wahlen anstehen, haben die Grünen die SPD in den Meinungsumfragen be­reits hinter sich gelassen. Wird auch im Bund aus Rot-Grün demnächst Grün-Rot? Und: Hätten die Grünen für diesen nicht mehr auszuschließenden Fall das geeignete Personal, um ins Bundeskanzleramt einzuziehen?

DerWesten nimmt das aktuelle Spitzenpersonal der Grünen unter die Lupe und unterzieht die beiden Partei-Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Renate Künast und Jürgen Trittin, einem ­eingehenden Kanzler-Check. Lesen Sie, wie die Grünen-Frontleute dabei abgeschnitten haben.

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Cem Özdemir, Parteivorsitzender, Schwabe mit türkischem Migrationshintergrund: Der Partei-Frontmann hat einen unschätzbaren Vorteil vorzuweisen: Özdemir ist Schwabe, und die können ja bekanntlich alles, außer Hochdeutsch. Aber auch ­Bundeskanzler?

Wenn es darauf ankommt, kann Özdemir fast so sonor predigen wie Umweltminister Norbert Röttgen von der CDU. Als Kanzler könnte sich der gelernte Pädagoge die Themen Integration und Bildung auf die Fahnen schreiben und anhand der eigenen Vita beweisen, dass Integration in Deutschland auch glücken kann.

Özdemir hat aber drei Probleme. Zunächst wären die Fraktionschefs am Zuge. Zudem ist der 45-Jährige als ­Co-Chef neben Claudia Roth eher blass. Im Gegensatz zu den übrigen drei Spitzengrünen, so heißt es, fehlen Özdemir zudem die Netzwerke, auf deren Basis er seinen Machtanspruch in der Partei durchsetzen könnte.

Kanzlerchance: Trotz Schwabenbonus ein Promille.

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Renate Künast, Fraktionschefin, streiterprobter homo politicus, gebürtige Recklinghäuserin, Bürgermeisterkandidatin in spe: Gestählt durch drei Jahrzehnte Politik, zähe Koalitionsverhandlungen und Scharmützel mit der Agrarlobby bringt die Ex-Verbraucherministerin nicht mehr viel aus der Ruhe. Abgesehen von der lästigen Frage, ob Künast in Berlin gegen Klaus Wowereit (SPD) in den Wahlkampf zieht oder nicht.

Als Regierende Bürgermeisterin könnte sich die machtbewusste Vertreterin des Realoflügels für die Kanzlerkandidatur warmlaufen und mit leeren Kassen regieren üben. Kanzlerin Angela Merkel würde wohl auch Tipps geben – da sich die beiden Politikerinnen durchaus schätzen. Viele Bürger trauen Künast, die aus kleinen Verhältnissen stammt und kämpfen kann, ein Spitzenamt zu. Derzeit wäre die 54-Jährige die aussichtsreichste Grüne für eine Kanzlerschaft ab 2013. Der Realoflügel steht geschlossen hinter ihr. Zu­dem tritt sie bürgernäher auf als Trittin.

Kanzlerchance: 46 Prozent.

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Caudia Roth, Parteichefin, Polarisiererin, Mode-Unikat: Wer in einer linksliberalen Familie im tiefsten, rabenschwarzen Bayern unfallfrei groß wurde wie Claudia Roth, müsste das Stahlbad einer Kanzlerschaft unbeschadet überstehen.

Jedenfalls würde die einstige Managerin der Kultband „Ton, Steine, Scherben“ schon rein optisch mehr Farbe in die Kanzlerschaft bringen als die derzeitige Amtsinhaberin Angela Merkel. Freilich müsste Roth, die nach wie vor munter polarisiert, verbal noch etwas abrüsten. Leute wie Bischof Mixa als durchgeknallten, spalterischen Oberfundi zu bezeichnen, macht sich als Kanzlerin nicht besonders gut.

Die 55-jährige Roth ist eine allseits anerkannte Kämpferin für die ­Menschenrechte und einflussreicher als etwa ihr Co-Chef Cem Özdemir. Doch Macht ist bekanntlich relativ. Trittin und Künast sind die Alphatiere in der Partei und hätten damit auch ein Vorgriffsrecht auf die Kandidatur.

Kanzlerchance: Zehn Prozent minus ein Promille.

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Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, einstiger ­Bürgerschreck, intellektueller Ex-Schnauzerträger und Tortenwurfopfer: Der 56-Jährige hätte recht gute ­Chancen auf die Kandidatur.

Über die Jahre hat sich Jürgen Trittin vom Buhmann zum seriösen Staatsmann im feinen Zwirn gewandelt. Der Vertreter des Linkenflügels ist der scharfzüngigste und neben Künast der mächtigste Spitzenpolitiker der ­Grünen. Kein Politiker hat mehr Erfahrung in Spitzenämtern als der ­Fraktionschef. Jürgen Trittin war ­sieben Jahre Umweltminister und hat den Atomausstieg festgezurrt.

Ein weiterer Pluspunkt: Trittin war jahrelang Landesminister in Niedersachsen. Spätestens seit Gerhard Schröder, Ursula von der Leyen, Christian Wulff und Sigmar Gabriel ist bekannt, dass ein niedersächsischer Politiker für jedes Spitzenamt in Berlin taugt. Allerdings ist Trittin nicht so ­bürgernah wie beispielsweise seine Partei-Kollegin Renate Künast.

Kanzlerchance: 44 Prozent.