Berlin. .

Eine neue Forsa-Umfrage sieht die Grünen bei 24 Prozent. CDU, SPD und Grüne nähern sich in Umfragen immer mehr an. Stirbt die Spezies Volkspartei aus? Eine Analyse.

Wenn Renate Künast auf die Umfragen angesprochen wird, winkt sie gleich ab. „Wir bleiben auf dem Teppich.“ Aber manchmal glaube sie, „dass der Teppich fliegt“. Gestern hatte die Grünen-Fraktionschefin wieder so ein Erlebnis.

Bei Forsa holte ihre Partei die SPD ein. Beide rangieren nun bei 24 Prozent, die Union bei 29 Prozent. Wächst eine dritte Volkspartei heran? Oder stirbt diese Spezies aus?

Grünen-Politiker wie Kü­nast sehen für die Energiefrage wie für die Familienpolitik nur noch zwei Entwürfe: schwarze und grüne. Auf einmal ist im linken Lager die Führungsfrage nicht mehr eindeutig ge­klärt. Noch ist das Kräftemessen virtuell. Aber bei zwei Wahlen im Jahr 2011 – Baden-Württemberg und Berlin – könnten die Grünen stärker als die SPD werden.

Dann stellt sich die pikante Frage, wer Koch und wer Kellner ist. Da bahnt sich ein verstörender Rollentausch an, der die Sozialdemokraten in­tern umtreibt. Wir arbeiten dran, signalisiert die Partei in NRW. Man studiert, warum die Grünen so gut ankommen, so etwa in den Metropolen, zumal in den Universitätsstädten. Mehrere „Zukunftswerkstätten“ im Willy-Brandt-Haus in Berlin brüten über Konzepte: über neue Inhalte wie über eine stärkere Beteiligung der Bürger. Mehr (direkte) Demokratie wagen!

Strahlkraft verloren

Parteichef Sigmar Gabriel wirkt hin- und hergerissen. Gerade noch hat er Seit’ an Seit’ mit den Grünen gegen die Atomkraft demonstriert. Dass Schwarz-Grün an Strahlkraft verloren hat, ist in seinem Sinne. Einerseits.

Andererseits lässt derselbe Gabriel einen bösen Satz über die Grünen fallen: „Die FDP des Jahres 2010“. Er spielt an auf den kometenhaften Aufstieg der Liberalen 2009. Wie ein Komet sind sie auch verglüht. Bei Forsa liegen sie nur noch bei fünf Prozent.

Die Kraft der Fallwinde

Dass Grünen-Bashing aber nicht weiterhilft, wissen die Genossen. Die Schwäche der Volksparteien ist zu eindeutig und zu beständig, um sie zu leugnen. Die Fallwinde, die SPD wie Union drücken, sind bekannt.

Erstens: Ihre traditionellen Milieus lösen sich auf, die Arbeiterschaft bei der SPD, bei der Union der Idealtypus des „katholischen Kirchgängers“. Er macht nur noch zehn Prozent der CDU-Wähler aus. Auf der anderen Seite sind bürgerliche Wähler anspruchsvoller, differenzierter denn je. In Stuttgart gehen sie auf die Straße gegen ein Prestigeprojekt der schwarz-gelben Regierung. In Hamburg haben die „besseren Schichten“ per Volksentscheid die schwarz-grüne Schulpolitik gestoppt.

Zweitens: Einzelinteressen überwiegen – und suchen sich ihre Parteien. Grob vereinfacht gesagt, sind die Freiberufler bei der FDP gut aufgehoben, bei den Grünen ist die Umweltlobby beheimatet, und die Linke bringt die Ost-Befindlichkeiten zur Sprache. Allen gleich gerecht zu werden – das Anliegen einer Volkspartei –, erweist sich als fast unmöglich.

Drittens: Union und SPD verlieren zusehends ihre lokale und regionale Verankerung. Der lebendige Ortsverein ist oft nur noch ein frommer Wunsch; wie die letzte interne Befragung der SPD gezeigt hat. Aber genau hier, in der Kommunalpolitik, nimmt das Engagement seinen Anfang. Oder auch nicht.

Viertens: Union und SPD sind über die Jahre verwechselbar geworden. Heute könnten nur noch 29 Prozent bundesweit einen Unterschied zwischen SPD und Union feststellen, erzählt Klaus-Peter Schöppner von Emnid. Die Volksparteien finden auf diesen Trend völlig unterschiedliche Antworten. Die Union öffnet sich, die SPD ist eher auf dem Retro-Trip. Die Partei besinnt sich auf ihren Markenkern: Verteilungspolitik, enger Schulterschluss mit den Ge­werkschaften. Die Rente mit 67 wird kurzerhand ausgesetzt.

Blick ins Ausland

Nirgendwo steht geschrieben, dass der Niedergang einer Volkspartei bei 29 Prozent (Union) oder 24 Prozent (SPD) zu Ende sein muss. Sie können auch aussterben. Dass sie die „Dinosaurier der De­mokratie“ sein könnten – die Sorge trieb den CDU-Politiker Jürgen Rüttgers schon in den 90er Jahren um.

Es lohnt ein Blick aufs benachbarte Ausland. Einige aktuelle Beispiele: Die stärkste Partei in Tschechien hat 22 Prozent, und in Schweden kom­men die So­zialde­mo­kraten nur auf 30,8 Prozent. Möglich, dass Mehr-Parteien-Allianzen, Minderheitsregierungen bald die Norm sind. Vorbei wäre es mit der deutschen Stabilität.