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Viele junge Paare genießen lieber ihre Freiheit und Unabhängigkeit, als sich durch Kinder einschränken zu lassen. Familienpolitische Leistungen wie Kindergeld, Elterngeld oder bessere Betreuungsmöglichkeiten können an dieser Einstellung wenig ändern.
Sabrina hat noch die Kurve gekriegt. Vor drei Jahren wurde sie Mutter; mit 41 Jahren. Hinter ihr lagen damals: eine Karriere als Systembetreuerin eines Einzelhandelskonzerns, zwei lange, aber gescheiterte Beziehungen, Auslandsaufenthalte, Reisen. Vor ihr lag ein Leben als Ehefrau und Mutter, und zwar Vollzeit.
„Ich mach’ keine halben Sachen“, sagt Sabrina.
Eben das ist typisch für ihre Generation. Und es ist der entscheidende Grund, warum sich heutzutage so viele Männer und Frauen gegen ein Kind entscheiden. Obwohl sie durchaus – zumindest zeitweise – einen Kinderwunsch verspüren. Aber da ist noch der Drang nach Unabhängigkeit, nach einer Karriere im Job, der Wunsch, zu reisen. Kurz: Sie haben – neben dem Kind – auch noch andere, gleichwertige Lebenspläne, die sie mit dem Kinderwunsch und den hohen Ansprüchen an sich selbst nicht vereinbaren lassen, so die Freiburger Psychotherapeutin Christine Carl, die 80 gewollt kinderlose Frauen befragte.
Der Kinderwunsch wird aufgeschoben, bis es zu spät ist
Weil die Familienplanung so einfach ist, fällt der Faktor Zufall kaum noch ins Gewicht. Und wo die Leichtigkeit fehlt, es einfach darauf ankommen zu lassen, im besten Vertrauen darauf, dass es schon irgendwie hinhauen wird mit dem Kind, dem Job, der Partnerschaft, da wird der Kinderwunsch aufgeschoben, bis die biologische Uhr abgelaufen ist.
Diese Unvereinbarkeit der Lebenspläne lässt sich nicht einfach mit mehr Kindergeld, zeitweisem Lohnersatz (Elterngeld) oder längeren Kita-Öffnungszeiten beeinflussen. Sie ist gewachsenen in den vergangenen Jahrzehnten und gehört zum gesellschaftlichen Wandel.
Wie Christine Carl herausfand, stellen Frauen vor allem dann ihre Karriere voran, wenn sie ihre Mutter als unzufrieden, abhängig und mit der Mutterrolle überfordert erlebt haben.
Noch öfter als Frauen wollen allerdings Männer kinderlos bleiben. Viele scheuen die schlicht die Verantwortung als Hauptverdiener, sie haben oft genug den eigenen, entweder abwesenden oder gestressten Vater vor Augen. Partnerinnen mit ausgeprägten Kinderwunsch bleibt da nur die Trennung.
Die Zweisamkeit mit dem Partner ist wichtiger
Was oft genug auch nicht weiterhilft. Schließlich sind Frauen, die sich gegen ihren Partner und für ein Kind entscheiden, eher 35 als 25 Jahre alt. Sie müssen sich einen neuen, verlässlichen Partner suchen, einen, der – wie die späte Mutter Sabrina erläutert – finanzielle und emotionale Verantwortung übernehmen will. „Und das kann dauern“.
Andere lassen es dann lieber ganz mit den Kindern und entscheiden sich für den Partner. Weil sie ihre Freiheit genießen, die Reisen, die finanzielle Unabhängigkeit, die intensive Zweisamkeit.
In der Tat besagen Studien, dass kinderlose Ehen genau so glücklich (oder unglücklich) sind, wie Ehen mit Kindern. Die Scheidungsrate allerdings ist ein wenig höher, da eine Trennung einfacher ist, wenn kein Kind dazu gehört.
In den Köpfen von Frauen und Männern spielt sich, wenn es um Kinder geht, also eine Menge ab. Leider spielen all diese Faktoren – hinzu kommt noch das idealisierte Mutterbild in Deutschland – in der aktuellen Familienpolitik kaum eine Rolle. Statt mit Lebenseinstellungen beschäftigt sie sich mit der Geburtenrate.
Die Gesellschaft müsste lockerer werden
Das Ziel der Politik, die Zahl der Geburten zu erhöhen, ist allerdings sinnlos, weil mit der Aussicht auf Elterngeld junge Leute nicht ihre Karriere verschieben oder ihren unabhängigen Lebensstil aufgeben. Die Gesellschaft müsste lockerer, unbefangener, risikobereiter werden, um das „Entweder-oder“, das in der späten Mutterschaft (Sabrina) oder Kinderlosigkeit endet, durch ein „Sowohl-als -auch“ abzulösen.
Wenn überhaupt, kann die Familienpolitik nur indirekt und langfristig auf die Zahl der Geburten einwirken: In dem Maße, wie sie Eltern und Kinder aktiv unterstützt, wird vielleicht irgendwann das Leben mit Kindern wieder selbstverständlicher.