Berlin. .
Pillen, Salben und Infusionen sind in Deutschland teils bis zu 500 Prozent teurer als anderswo in Europa. Die Krankenkassen könnten bis zu 9,4 Milliarden Euro jährlich sparen, wenn die deutschen Medikament etwa so preiswert wie in Schweden wären.
Medikamente sind in Deutschland drastisch teurer als anderswo in Europa - im Einzelfall um 500 Prozent und mehr. Dies geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Arzneiverordnungsreport 2010 hervor. Wären Pillen, Salben und Infusionen so billig wie etwa in Schweden, könnten die Krankenkassen demnach bis zu 9,4 Milliarden Euro jährlich sparen. Die Opposition forderte die Regierung auf einzuschreiten. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) verwies auf sein bereits geschnürtes Arzneimittelsparpaket.
Die Krankenkassen bezahlten vergangenes Jahr 32,4 Milliarden Euro für Arzneien, 4,8 Prozent mehr als 2008. Die Kosten steigen seit Jahren rasant. Rösler plant unter anderem erstmals Kostendeckel für neuartige Medikamente, deren Preise die Pharmaindustrie derzeit frei festlegen kann.
Auch Generika teurer
Laut Report sind solche neuen, patentgeschützten Arzneien gegen Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Krebs für 80 Prozent des Kostenanstiegs verantwortlich. Die Umsätze mit Patentarzneien seien von 1993 bis heute von 1,6 Milliarden auf 13,2 Milliarden Euro in die Höhe geschnellt, sagte Report-Herausgeber Ulrich Schwabe.
Dabei verlangen die Hersteller laut Schwabe in Deutschland Höchstpreise. Die 50 führenden Patentarzneimittel seien im Schnitt 48 Prozent teurer als die entsprechenden Mittel in Schweden. Bei sogenannten Generika - Nachahmerprodukten von Mitteln, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist - sei die Preisdifferenz zum Ausland noch krasser.
Beispielsweise habe das Magenmittel Omep in Deutschland bislang 60,46 Euro gekostet, in Schweden dagegen nur 9,36 Euro. Die Preisdifferenz habe bei 546 Prozent gelegen. Zum 1. September sank der Preis aufgrund neuer Festbeträge in Deutschland auf „nur noch“ 43,29 Euro. Die 50 umsatzstärksten Generika seien im Durchschnitt 98 Prozent teurer als die entsprechenden Präparate in Schweden, sagte Schwabe. Den Vergleich mit Schweden hat er nach eigenen Angaben gewählt, weil dort die Arzneimittelpreise veröffentlicht seien.
Pharmaindustrie kritisiert Studie
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller und der Verband Pro Generika kritisierten die Studie. Der Vergleich mit Schweden sei verfehlt, erklärte VFA-Geschäftsführerin Cornelia Yzer. Dort könnten Hersteller einen höheren Anteil vom Endpreis für sich behalten und der Staat erhebe keine Mehrwertsteuer auf Arzneien. „So werden letztlich Äpfel mit Birnen verglichen.“ Allerdings hat Schwabe nach eigenen Angaben den Mehrwertsteuereffekt herausgerechnet.
Pro Generika erklärte, der Verordnungsreport habe bewiesen, „dass er für eine seriöse Beurteilung des Arzneimittelmarkts nicht mehr genutzt werden kann“. Experten sehen den mehr als 1.000 Seiten starken Report jedoch als Standardwerk. Er wurde zum 26. Mal vorgestellt.
Streit in der Haushaltsdebatte
Die Arzneimittelausgaben dominierten auch die Debatte über Röslers Haushalt 2011 im Bundestag. Der Minister betonte, der Pharmaindustrie werde ein Sparbeitrag von zwei Milliarden Euro abverlangt - weit mehr als etwa unter der rot-grünen Bundesregierung.
Redner von SPD, Linken und Grünen warfen Rösler dagegen vor, der Pharmaindustrie zu weit entgegenzukommen. Die Kriterien für die geplante Nutzenbewertung, mit der die Preise für neue Arzneien kontrolliert werden sollen, würden auf Wunsch der Pharmaindustrie aufgeweicht. SPD-Experte Karl Lauterbach sprach von „Klientelpolitik pur“.
Dies wies neben Rösler auch die Union zurück. „Wir stemmen gerade das größte Arzneimittelsparpaket der Geschichte“, sagte CDU-Experte Jens Spahn, „es wäre schön, wenn das mal anerkannt würde.“ (dapd)