Berlin/Worms. .

Thilo Sarrazin hat mit seiner neuerlichen Migranten-Schelte für einen kollektiven Protest gesorgt. Die Kanzlerin reagierte empört, die SPD versucht ihn loszuwerden. Die NPD dagegen macht ihm ein Angebot.

Über Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin rollt wegen seiner neuerliche Migrantenschelte eine Welle des Protests. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte am Mittwoch in scharfer Form. Die Kritik reichte von „verletzend“ über „polemisch“ bis „dämlich“. In seiner eigenen Partei, der SPD, wurde ihm der Austritt nahegelegt. Der Zentralrat der Juden sah Sarrazin ihn besser bei der NPD aufgehoben. Deren hessischer Landesverband lud ihn umgehend zur Zusammenarbeit ein.

Sarrazins Sätze seien „äußerst verletzend, diffamierend und sehr polemisch zugespitzt“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Sarrazins Bemerkungen seien „überhaupt nicht hilfreich“ für die Integration von Ausländern in Deutschland. „Da müsste ein ganz anderer Ton angeschlagen werden“, fügte der Regierungssprecher hinzu.

Sarrazin hatte im Deutschlandradio Kultur erklärt, 40 Prozent der muslimischen Migranten lebten von Transfer-Leistungen. Der frühere Berliner SPD-Finanzsenator fügte an: „Für die Gesamtheit der muslimischen Einwanderung in Deutschland gilt die statistische Wahrheit: In der Summe haben sie uns sozial und auch finanziell wesentlich mehr gekostet, als sie uns wirtschaftlich gebracht haben.“ Der Bundesbank-Vorstand forderte zudem, der „ungebildete, unqualifizierte Familiennachzug“ könne so nicht weitergehen.

SPD geht auf Distanz zu Sarrazin

Auch die SPD geht zunehmend auf Distanz zu Thilo Sarrazin. Er vertrete „im Grunde Gedanken der NPD und von „Pro Deutschland“, sagte Integrationsexperte Raed Saleh im Deutschlandradio Kultur.

Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel hatte zuvor einen freiwilligen Parteiaustritt Sarrazins ins Gespräch gebracht. Auf die Frage, warum Sarrazin noch SPD-Mitglied sei, sagte Gabriel am Dienstagabend in Worms: „Das weiß ich auch nicht.“ Die Äußerungen des jetzigen Bundesbank-Vorstands seien zum Teil „dämlich“ und dessen Sprache mitunter „gewalttätig“.

Gabriel kündigte eine Prüfung an, ob Sarrazin mit seinen Äußerungen bestimmten Bevölkerungsgruppen bestimmte Charaktereigenschaften zuweise. Dies wäre dann eindeutig „rassistisch“. Zu weiteren Konsequenzen für Sarrazin - etwa zu einem Parteiausschlussverfahren - äußerte sich Gabriel allerdings nicht. Ein von Berliner SPD-Mitgliedern angestrebter Parteiausschluss Sarrazins wegen früherer umstrittener Äußerungen war im Frühjahr gescheitert.

„Eindeutig rassistisch“

Gabriel sagte zugleich, er wolle „aber auch die intellektuelle Auseinandersetzung“ mit Sarrazin. Neben vielen inakzeptablen Äußerungen spreche der Bundesbank-Vorstand auch Dinge an, über die man ernsthaft nachdenken müsse.

Hintergrund sind Äußerungen Sarrazins in seinem neuen Buch „Deutschland schafft sich ab“. Darin wirft er muslimischen Migranten vor, sich nicht in die Gesellschaft integrieren zu wollen und mehr Kosten zu verursachen, als Nutzen zu bringen.

Nach Salehs Einschätzung ist Sarrazins Gedankengut eindeutig rassistisch. Der Ex-Finanzsenator spreche sogar von „genetisch bedingter Dummheit“. Der SPD-Politiker warf seinem Parteikollegen vor, die Wirklichkeit in Deutschland nicht zu kennen. Integration sei in Deutschland millionenfach gelungen. „Rassismus und Intoleranz und, ich sag mal auch, im Grunde Sozialdarwinismus helfen in der Debatte nicht weiter.“

Zentralrat der Juden empfiehlt Sarrazin NPD-Eintritt

Der Zentralrat der Juden empfahl Sarrazin, von der SPD zur NPD zu wechseln. Der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, begrüßte am Mittwoch in „Handelsblatt Online“, dass sich SPD-Chef Gabriel unverzüglich von Sarrazin und seinen „Rassentheorien“ distanziert habe. Kramer sagte, jede weitere Beschäftigung mit ihm und seinen abwegigen Aussagen wären eine „unverhältnismäßige Aufwertung“ seiner Person.

Auch wenn Sarrazins „rassistische Hasstiraden“ nicht mehr überraschend seien: „Ich würde Herrn Sarrazin den Eintritt in die NPD empfehlen, das macht die Gefechtslage wenigstens klarer und befreit die SPD“, sagte Kramer. Die Politik solle sich nicht länger über Sarrazin empören, sondern sich vielmehr „ernsthaft mit den seit Jahren bekannten Defiziten bei der Integrations- und Zuwanderungspolitik“ auseinanderzusetzen, riet er.

Die NPD erklärte am Abend in einer Pressemitteilung ihres hessischen Landesverbandes, sie vertrete „genau die Positionen, die Sarrazin in seinem Buch niedergeschrieben hat“. Landesvorsitzender Jörg Krebs forderte Sarrazin auf: „Arbeiten Sie ... bei den Nationaldemokraten mit.“

Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler nahm Sarrazin gegen Kritik in Schutz. „Sarrazin spricht die Integrationsprobleme in Deutschland zwar überspitzt an, das muss aber nicht falsch sein, um eine Diskussion über den richtigen Weg zu führen“, sagte Schäffler „Handelsblatt Online“.

Auftritt in Frage gestellt

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt drohte Sarrazin, eine Veranstaltung mit ihm im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals abzusagen, wenn dieser seine Haltung nicht ändere. „Thilo Sarrazins polemische Thesen sind völlig konträr zur Grundhaltung des Hauses“, erklärte Intendant Bernd Scherer. Es sei nicht zu tolerieren, dass Sarrazin und dessen Verlag einen kritischen Gesprächspartner auf dem Podium ablehnten.

Bereits im Frühjahr hatte Sarrazin große Empörung ausgelöst, als er Migranten in Berlin vorhielt, lediglich „eine produktive Funktion für den Obst- und Gemüsehandel“ zu haben und ständig „neue, kleine Kopftuchmädchen“ zu produzieren. (apn/ddp)