Berlin. .
Sechs Jahre lang war Horst Köhler Bundespräsident. Beim Volk war er immer beliebt, bei den Mächtigen im Land nicht immer. Zu unbequeum war Köhler dafür, zu gern mischte er sich in tagespolitische Debatten ein.
Punkt 14.00 Uhr tritt Bundespräsident Horst Köhler im Berliner Schloss Bellevue vor die Kameras. An seiner Seite ist seine Frau Eva Luise. Beide tragen Schwarz. Mit gefasster Stimme, aber sichtlich bewegt erklärt Köhler als erstes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland seinen Rücktritt „mit sofortiger Wirkung“.
Mit dem überraschenden Schritt reagierte Köhler auf harsche Kritik an seinen jüngsten Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Offenbar wollte der 67-Jährige einer drohenden Demontage seiner Person und des höchsten Staatsamtes zuvorkommen. Dafür spricht auch, dass seine Frau Eva Luise, die angeblich schon seiner zweiten Amtszeit skeptisch gegenüberstand, beim Rücktritt direkt neben ihm stand.
Köhler vermisste den notwendigen Respekt für sein Amt
Anlass der Demission ist ein sprachlicher Stockfehler. Der Bundespräsident hatte nach einem Besuch deutscher Soldaten. In Afghanistan in einem Hörfunkinterview erklärt, im Notfall sei auch „militärischer Einsatz“ notwendig, um Deutschlands „Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“. Daraufhin war ihm unterstellt worden, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet.
Köhler bedauerte am Montag, dass seine Äußerungen „zu Missverständnissen führen konnten“. Diese zuletzt harsche Kritik an ihm lasse aber „den notwendigen Respekt“ für sein Amt vermissen. „Es war mir eine Ehre, Deutschland als Bundespräsident zu dienen“, lauteten seine letzten Worte im Amt.
Kritiker warfen Köhler Schweigsamkeit zu Problemen vor
Seit Beginn der zweiten Amtszeit vor knapp einem Jahr war die Kritik an Köhler lauter geworden. Es wurde bemängelt, er melde sich überhaupt nicht mehr zu Wort, schweige zum schlechten Start der schwarz-gelben Koalition. Schon länger bekannt war Köhlers Arbeitswut - von der schwäbischen Gründlichkeit ihres Chefs wussten die Mitarbeiter des Bundespräsidialamtes stets ein Lied zu singen - nun aber war von einem Machtkampf im Schloss Bellevue die Rede. Köhlers Sprecher Martin Kothé warf überraschend hin und wechselte in die freie Wirtschaft.
Mit seinem Besuch in Afghanistan wollte Köhler politische Präsenz zeigen. Doch die missglückte Äußerung über die Bundeswehr reihte sich in die Irritationen nahtlos ein. Aus „Super-Horst“ wurde in der Presse „Horst Lübke“ - in Anspielung auf Köhlers tapsigen Vorgänger Heinrich Lübke, der als Staatsoberhaupt von 1959 bis 1969 in so manches Fettnäpfchen trat.
Im Volk war Köhler beliebt
Die Bevölkerung mochte Köhler ungebrochen. „Ich danke den vielen Menschen in Deutschland, die mir Vertrauen entgegengebracht und meine Arbeit unterstützt haben“, sagte er in seiner Rücktrittsrede. Denn Köhler war beliebt, vielleicht auch deshalb, weil er auf die Befindlichkeiten der Parteien und Spitzenpolitiker so wenig Rücksicht nahm.
Als er 2004 erstmals ins Amt gewählt wurde, galt Köhler als „Wirtschaftsfachmann“. Weite Teile der Bevölkerung kannten den neunten Bundespräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik gar nicht.
Köhler kam 1943 im damals von deutschen Truppen besetzten polnischen Skierbieszów zur Welt. Noch vor Kriegsende floh die Familie vor der anrückenden Roten Armee, lebte dann fast zehn Jahre lang in der Nähe von Leipzig, bis sie in den 1950er Jahren im schwäbischen Ludwigsburg eine neue Heimat fand.
Erst Staatssekretär, dann Direktor des Währungsfonds
Nach seinem Studienabschluss begann der Bauernsohn 1969 als wissenschaftlicher Referent am Institut für angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen, wechselte 1976 in die Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums. 1993 wurde er Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes.
Bei seinem Amtsantritt hatte Köhler bereits eine beachtliche politische Karriere hinter sich - unter anderem als Staatssekretär im Finanzministerium und persönlicher Beauftragter von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) - aber ein klassischer Parteipolitiker war er eben nicht. 1998 wurde Köhler auf Betreiben des damaligen Bundesfinanzministers Theo Waigel (CSU) Präsident der „Osteuropabank“ in London. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schließlich schickte ihn erfolgreich ins Rennen um das Amt des Generaldirektors des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Ein unbequemer Präsident wollte er sein
Seit 2004 versuchte der mit den Stimmen von Union und FDP ins Amt gewählte Köhler, das Image eines Neoliberalen abzustreifen. Hatte er zunächst die „Agenda 2010“ Schröders begrüßt und eine „Ordnung der Freiheit“ propagiert, ging er später auf die Gewerkschaften zu. In einer „Berliner Rede“ zur Wirtschaftskrise klopfte Köhler raffgierigen Bankern auf die Finger, forderte Moral und Verantwortung für die Märkte und mahnte eine grundsätzliche Reform der weltweiten Wirtschafts- und Finanzordnung an.
„Offen und notfalls unbequem“ wollte Köhler sein. Dieser Aussage blieb er treu. Ende 2006 war die Union nicht gut auf Köhler zu sprechen, nachdem er zwei Gesetzesvorhaben binnen kurzer Zeit nicht in Kraft treten ließ. Er sei „kein Unterschriftenautomat“, ließ Köhler damals wissen. Mit Köhler kam also erstmals ein Quereinsteiger ins Schloss Bellevue. Jetzt ist er gescheitert. (ddp)