Peking. Zwanzig Jahre nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens ist China im wirtschaftlichen Aufschwung. Doch im Wirtschaftswunderland fehlen weiterhin Demokratie, Freiheit und Pluralismus. Die Freiheit, alles kaufen zu können, kann die Freiheit des Geistes nicht ersetzen.

Der Platz des Himmlischen Friedens in Peking war am 4. Juni 1989 die Hölle auf Erden. Die chinesische Regierung beendete die Demonstrationen gegen Korruption und Willkür, für Demokratie und Freiheitsrechte, indem sie Panzer einsetzte. Der Tag endete in einem Blutbad. Bis heute weiß niemand genau, wie viele Menschen niedergemetzelt wurden. Menschenrechtler sprechen von bis zu Dreitausend, andere Quellen von mehreren Hundert.

Es war die Zeit der Solidarnosc, die Zeit von Glasnost und Perestrojka, die wenige Monate später zum Fall der Berliner Mauer führte, die Zeit des Wandels. Sie hatte etwas Hoffnungsvolles - bis zum staatlich verordneten Massaker im Herzen der chinesischen Hauptstadt.

Eine große Mauer des Schweigens

Seit 20 Jahren reagiert die Regierung panisch, wenn sich der Gedenktag nähert. Einige der Menschenrechtler bekamen Hausarrest, andere mussten die Stadt verlassen, wieder andere sitzen in Haft. Internetzugänge wurden gesperrt. China hat eine große Mauer des Schweigens um den 4. Juni 1989 aufgebaut.

Also alles beim Alten? Auf den ersten Blick hat sich das Land sehr verändert - äußerlich zumindest. Die Städte boomen, Wohlstand wird sichtbar. Innerlich aber ist im Wirtschaftswunderland vieles unverändert: Es gibt keine Demokratie, keinen Rechtsstaat, keinen Pluralismus. Die Freiheit des Einzelnen hat keinen Wert.

Die Freiheit, alles kaufen zu können

Es gibt nur eine Freiheit - die des Geldes. Nicht wenige Chinesen glauben heute, dass der Einsatz gegen die Demonstranten nötig war, weil das Land sonst ins Chaos abgerutscht wäre und nur die Stabilität den Wohlstand bringen konnte, von dem nun alle profitieren.

Doch das ist zu kurz gedacht. Die Freiheit, alles kaufen zu können, kann die Freiheit des Geistes nicht ersetzen. Sie kann sie aber besänftigen - solange die Wirtschaft wächst. Die Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens glaubten, dass eine chaotische Freiheit wertvoller ist als ein geordneter Totalitarismus. Und Konfuzius sagt: „Für ein gut geführtes Land ist Armut eine Schande, für ein schlecht geführtes Reichtum.”

Wer auf Materialismus setzt, verpasst die Zukunft

Chinas wachsender Wohlstand verstellt den Blick auf Grundsätzliches: Nachhaltige Entwicklung ist ohne Freiheitsrechte nicht möglich. Wer nur auf Materialismus setzt, verpasst die eigene Zukunft. China ist eine Weltmacht. Aber nur, wenn nicht das Volk, sondern jeder einzelne im Volk, eine Stimme bekommt, kann das Reich der Mitte über sich hinauswachsen - zu wahrer Größe.

Mehr zum Thema: