Paris/Berlin. Womöglich wird das Verschwinden des Air-France-Flugs AF447 über dem Atlantik für immer ein Rätsel bleiben. Air France und die betroffenen Regierungen sind auf Spekulationen auf Basis einer mageren Faktenlage angewiesen.

Womöglich wird das Verschwinden des Air-France-Flugs AF447 über dem Atlantik für immer ein Rätsel bleiben. Über die Ursachen können wohl nur die Flugschreiber Aufschluss geben, die aber möglicherweise in tausenden Meter Tiefe auf dem Meeresgrund unerreichbar bleiben. So sind Air France und die betroffenen Regierungen auf Spekulationen auf Basis einer mageren Faktenlage angewiesen. Wir geben einen Überblick über Hypothesen, von denen auch mehrere zusammen in einer Verkettung unglücklicher Umstände zu dem Unglück geführt haben könnten.

Geräteausfall

Air France zufolge sendete die Maschine vor ihrem Verschwinden zwar keinen Notruf, aber ein dutzend automatische Botschaften, wonach «mehrere Apparate» ausgefallen waren. Bei dem als zuverlässig geltenden Airbus A330 sei diese Häufung «noch nie dagewesen», erklärt die Fluggesellschaft. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Funk und Wetterradar nach einem Blitzeinschlag nicht mehr funktioniert hätten, sagte der französische Luftfahrt-Experte François Grangier der Zeitung «Le Parisien». «Die Besatzung könnte dann blind weitergeflogen sein und sich auf die Gewitter zubewegt haben, ohne es zu merken.» Laut Handwerg ist ein Totalausfall von Systemen aber unwahrscheinlich, weil diese in modernen Flugzeugen mehrfach vorhanden seien.

Turbulenzen

Die Region zwischen Südamerika und Afrika ist bei Piloten für ihre heftigen Gewitter und Stürme berüchtigt. Dort verläuft der so genannte meteorologische Äquator, in dem Luftmassen aus der nördlichen und südlichen Halbkugel aufeinandertreffen. «Piloten können dort mit schneidenden Winden und Wolken konfrontiert werden, die bis zu 15 Kilometer hoch sind», sagte Grangier. Sie könnten deshalb nicht überflogen werden. «Es ist nicht selten, dass man Umwege von 100 oder 150 Kilometern macht, um sie zu umfliegen.» Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Air-France-Besatzung dies unterlassen haben könnte. Sie galt als erfahren. Der 58 Jahre alte Bordkommandant hatte 11.000 Flugstunden hinter sich; seine Ko-Piloten 6600 beziehungsweise 3000.

Terroranschlag

Die französische Regierung will bis zur Klärung der Unglücksursache auch einen Terroranschlag nicht ausschließen. Eine Explosion mitten im Flug könnte eine Erklärung dafür sein, warum kein Notruf abgesetzt wurde. Die Zeitung «Le Figaro» verweist darauf, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Rio de Janeiro «nicht so drakonisch» seien wie in Europa. «Entschlossene Terroristen hätten deshalb dieses schwache Glied wählen können, um eine französische Maschine zu treffen.» Niemand hat sich allerdings zu einem Anschlag bekannt. Französische Ermittler untersuchen dennoch die Passagierliste auf verdächtige Hinweise. (afp)

Blitz

Air France hält es für wahrscheinlich, dass ein Blitz in die Maschine eingeschlagen ist. Normalerweise ist das kein Problem. Jedes Flugzeug wird im Schnitt alle 1000 bis 1500 Flugstunden einmal vom Blitz getroffen. Ein Absturz deswegen sei «extrem unwahrscheinlich», sagte der Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, Jörg Handwerg. Wie beim Auto wird die elektrische Ladung nach dem Prinzip des Faradayschen Käfigs beim Einschlag über die metallische Außenhaut abgeleitet. Laut der Website Aviation Safety Network wurde aber beispielsweise 1963 eine Boeing 707 von Pam Am durch einen Blitz zerstört. Er hatte demnach Kerosingase an einem Triebwerk entzündet, was zu einer Explosion der Tanks führte.

Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) hat einige Fragen und Antworten zum Flugbetrieb bei Gewitter zusammengestellt, will damit aber keine Aussage über die mögliche Ursache der jüngsten Katastrophe verbinden.

  • Welche Gefahren bringt ein Gewitter mit sich? Wegen der starken Turbulenzen innerhalb der Gewitterwolke und der Gefahr elektrischer Entladungen in Form von Blitzen gelten Gewitter als gefährlich. Piloten umfliegen sie in aller Regel mit großem Abstand, da auch Hagelschlag Flugzeuge beschädigen kann.
  • Wie wird der Pilot vor Gewittern gewarnt? Einerseits werden die Vorhersagen der Wetterdienste genau beobachtet. Aber auch auf dem Wetterradar ist nicht unbedingt alles zu sehen: So wird zwar Niederschlag in Form von Wassertröpfchen gut reflektiert, Eis hingegen nicht so gut, so dass Hagel «übersehen» werden kann.
  • Wie bereitet sich der Pilot auf das Durchfliegen eines Gewitters vor? Gewitter werden laut Bundesamt im Allgemeinen nicht durchflogen, da die Risiken zu groß sind. Ist dies dennoch nicht zu vermeiden, schalten die Piloten die Anschnallzeichen ein und reduzieren die Geschwindigkeit stark, damit das Flugzeug nicht zusätzlich durch das hohe Tempo in Kombination mit den Turbulenzen überbelastet wird. Piloten haben sich nicht zuletzt im Flugsimulator auf solche Situationen vorbereitet.
  • Woran merkt man, dass ein Blitz eingeschlagen hat? «Meistens hört man das ganz gut, es gibt einen dumpfen Schlag gegen den Rumpf. Es gibt aber auch Fälle, in denen erst nach der Landung festgestellt wird, dass ein Blitz eingeschlagen ist», erläutert die Behörde. So könne man die Ein- und Austrittsstelle des Blitzes am Rumpf sehen. An Bord selbst kann sich der Einschlag sehr unterschiedlich auswirken. Schlimmstenfalls kommt es zum Ausfall einiger oder sogar aller Instrumente. Deutsche Fluggesellschaften müssen einen Blitzeinschlag melden. Nach einem Blitzschlag wird immer eine umfassende Kontrolle durchgeführt.
  • Wie sieht es mit der Gefahr eines Stromausfalls aus? Flugzeuge sind immer «redundant» ausgestattet, das heißt, es gibt immer mehrere Systeme, die denselben Zweck erfüllen. Der Ausfall aller Anlagen ist höchst unwahrscheinlich, aber möglich, wie die Experten betonen.
  • Wie werden Flugzeuge vor Blitzeinschlag geschützt? Flugzeuge sind sogenannte Faradaysche Käfige. Das bedeutet, dass ein Blitzschlag in aller Regel nicht in das Luftfahrzeug eindringen und dort Schaden anrichten kann. Herausstehende Teile wie Antennen können aber unter Umständen abschmelzen.
  • Und können sie durch Blitzeinschlag oder Gewitter abstürzen? Das LBA hält solche folgenreichen Ereignisse für äußerst selten und sehr unwahrscheinlich. «Ein Blitz kann einer modernen Maschine eigentlich nicht viel anhaben, weil sie durch ihre Umhüllung ja von dem Faradayschen Effekt profitiert. Es können aber Systeme so beschädigt werden, dass keinerlei Informationen mehr zur Verfügung stehen und somit ein Weiterflug unmöglich ist», erläutert die Behörde. (ap/afp)