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Die SPD nimmt Teile ihrer Hartz-Reformen zurück. Der Kölner Armutsforscher und Hartz-IV-Kritiker Christoph Butterwegge hält das Arbeitsmarktkonzept zwar für sinnvoll - aber nicht ausreichend. Warum, erklärt er im Interview.

Die SPD korrigiert sich, Herr Butterwegge. Könnten Sie sich vorstellen, wieder in die Partei einzutreten?

Christoph Butterwegge: Nein, wenngleich ich mir den Weg in die SPD offenhalte. Aber das kann ich mir nur vorstellen, wenn die SPD nach langen Irrwegen wieder sozialdemokratische Politik macht.

Das Arbeitsmarktkonzept scheint aber doch ein guter Anfang zu sein, oder?

Butterwegge: Zweifellos enthält in Teilen durchaus sinnvolle Fortschritte. Die Begrenzung der Leiharbeit, deren Deregulierung die SPD mit zu verantworten hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die Forderung nach einem Mindestlohn von 8,50 Euro ist ein solcher Fortschritt. Da hat man sich an die Gewerkschaften heran gerobbt. Aber ich habe meine Zweifel, ob 8,50 Euro angesichts steigender Preise ausreichend sind, um menschenwürdig leben zu können.

Was schwebt Ihnen vor?

Butterwegge: Realistisch wäre ein Mindestlohn, der sich eher am französischen oder luxemburgischen orientiert, also neun bis zehn Euro.

Das Konzept ist mit „Fairness auf dem Arbeitsmarkt“ überschrieben. Wird es diesem Titel gerecht?

Butterwegge: Nein. Dazu müssten die Hartz-Reformen zurückgenommen oder überwunden werden. Hartz und fair, das geht nicht. Hartz IV ist ein Gesetz der Angst. In ihrem Konzept nimmt die SPD lediglich Schönheitskorrekturen wie die Erhöhung der Schonvermögen vor. Das würde nur einem Bruchteil der Arbeitslosen helfen, nähme den Arbeitnehmern nicht die Angst, nach kurzer Zeit auf Sozialhilfeniveau herabzusinken, und ähnelt insofern auch Forderungen der FDP.


Wo Sie die FDP ansprechen: Die SPD-Frontfrau in NRW, Hannelore Kraft, ist wegen ihres Vorschlages für einen sozialen Arbeitsmarkt mit FDP-Chef Guido Westerwelle gleichgesetzt worden...

Butterwegge: ...was Unsinn ist. Der Vorschlag von Frau Kraft ist im Gegensatz zu all dem, was Westerwelle von sich gibt, im Grundsatz durchaus sinnvoll. Allerdings fehlt mir in dem SPD-Konzept einiges. Wenn es auf einem sozialen Arbeitsmarkt keine tarifgerechte oder ortsübliche Entlohnung gibt, wird ein Arbeitsmarkt dritter Klasse geschaffen. Das darf nicht passieren. Außerdem sollte die Qualifikation der Menschen beachtet werden, die auf einem solchen Arbeitsmarkt vermittelt werden.


Hat die SPD ihre Fehler eingesehen?

Butterwegge: Das bezweifel ich. Den führenden Sozialdemokraten fehlt es an Selbstkritik. Die Arbeitsmarktreformen der Vergangenheit - glauben sie immer noch - hätten sich „bewährt“. Gleichzeitig wird lediglich von „Akzeptanzproblemen“ bei den Arbeitnehmern gesprochen. Das liest sich so, als habe die SPD eigentlich alles richtig gemacht, sei aber einfach nicht verstanden worden. Überzeugende Alternativen gibt es noch nicht. Aber ich hoffe, dass der eingeschlagene Kurs durch innerparteiliche Debatten bis zum nächsten SPD-Parteitag im September zumindest nachjustiert wird.