Santiago de Chile/Duisburg.
Julia Hermann war erst ein paar Stunden in Chile, als in der Nacht die Erde so heftig bebte wie seit Jahren nicht mehr. Die 27-jährige ist von Duisburg nach Santiago gezogen, um dort zu studieren. Jetzt weiß sie nicht, ob sie in ihre WG zurückkehren kann. Ein Interview.
„So, gleich geht’s los“, schreibt Julia Hermann, eine Kommilitonin von mir, am Donnerstagmittag in ihr Facebook-Profil. Die 27-jährige will nach Chile ziehen, um an der Universität in Santiago zu studieren. 30 Stunden später, nach einem Schneesturm in Toronto und verspätetem Anschlussflug, meldet sie sich das nächste Mal. Freunde und Verwandte wissen, dass sie gut in Chile angekommen ist. Da ahnt noch niemand etwas vom Beben.
Wenige Stunden später, in der Nacht zu Samstag (Ortszeit), gibt es dann im Westen des Landes ein heftiges Erdbeben. Gebäude und Stromleitungen stürzen ein, Menschen sterben und werden verletzt. Auch aus Santiago wird gemeldet, dass einzelne Gebäude zerstört worden sind. Am Samstagnachmittag, gut zehn Stunden nach dem Hauptbeben, schreibt Julia Hermann endlich auf Facebook: „Erdbeben war echt schlimm. Hatte noch nie solche Angst.“ Kurze Zeit später, um 13 Uhr Ortszeit, habe ich Gelegenheit, mit ihr zu chatten. Julia hat rund fünf Kilometer von ihrer WG entfernt ein funktionierendes Internetcafé gefunden.
Die Erde bebte so stark, dass man nicht stehen konnte
Wie geht es Dir?
Julia Hermann: Ich bin okay. Aber alles dreht sich immer noch. Ich bin auf der Suche nach etwas zu essen und zu trinken.
Wo warst Du, als die Erde gebebt hat?
Hermann: Ich habe nach 30 Stunden Reise geschlafen, als mich mein Mitbewohner aus dem Bett zog. Ich dachte erst, ich träume das alles, weil es so unwirklich war. Aber als ich nicht stehen konnte, wurde mir dann doch recht schnell klar, dass irgendetwas nicht stimmt.
Wann war das?
Hermann: Das muss so gegen vier Uhr gewesen sein.
Ist die WG in einem Hochhaus?
Hermann: Ja, im fünften Stock. Das ist zwar nicht so besonders hoch, aber wenn das Haus erst einmal so schwankt, dass du keinen Halt mehr findest, ist das wirklich beängstigend.
„Der Strom war sofort weg“
Was hab ihr gemacht?
Hermann: Die Chilenen wissen, was sie in solchen Momenten tun müssen und haben mich unter einen Türrahmen in der Wohnung gezogen.
Was ist dann passiert?
Hermann: Die Möbel sind umgefallen, der Träger, unter dem ich stand, ist gerissen und der Putz ist mir auf den Kopf gefallen. Danach ist auch die ganze Wand gerissen. Das alles im Dunkeln, der Strom war sofort weg.
Was habt ihr gemacht, als das Beben vorbei war?
Hermann: Das hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert. Als das Hauptbeben vorbei war, haben mit meine Mitbewohner Schuhe und eine Jacke geholt und mich auf die Straße geschoben. In meinem Viertel gibt es nur Hochhäuser. Wegen der Nachbeben hat sich niemand mehr in die Wohnungen getraut. Besonders ich nicht.
Gab es noch viele Nachbeben?
Hermann: Ja, das letzte heute Morgen zwischen 8 und 9 Uhr. Bei jeder Bewegung bin ich panisch wieder unter einen Türbogen gelaufen.
Keinen Kontakt zu Freunden und Familie
Wie ist die Situation jetzt? Gibt es Strom und Wasser?
Hermann: Strom ist wieder da. Wasser auch – aber das sieht nicht so aus, als könnte man es trinken. Telefon, Fernsehen und Internet funktionieren in den Wohnungen nicht. Also gibt es keinen Kontakt. Es ist schwer herauszufinden, wie es anderen geht und zu Hause Bescheid zu geben, dass es mir gut geht. Ich habe aber im Internetcafé Emails geschrieben und hoffe, dass das Telefon bald wieder geht. Für meine Mitbewohner ist es viel schlimmer. Eine Freundin meines Mitbewohners war mit dem Bus im Epizentrum unterwegs.
Wie ist es mit dem Essen?
Hermann: Ich habe mir gestern chilenische Süßigkeiten gekauft. Davon lebe ich jetzt erst einmal. Aber in der Innenstadt sind die Läden alle geschlossen.
Kannst du denn wieder in der WG leben?
Hermann: Keine Ahnung. Die Wände sehen nicht so gut aus, aber meine Mitbewohner meinen, die Häuser seien für Erdbeben ausgelegt.
Hast du gesehen, ob viele Menschen in Santiago verletzt worden sind?
Hermann: Ich glaube, hier sind es nicht so viele. Aber auf dem Weg in die Stadt habe ich schon eine Menge kaputte Häuser und Kirchen gesehen. Ich denke, hier gibt es überwiegend Leichtverletzte. Ich selbst bin mit ein paar blauen Flecken davongekommen.