Berlin. .

Wem immer Gesundheitsminister Philipp Rösler sein neues Gesundheitssystem erklärt, er kann mit Widerstand rechnen. Das war auch Donnerstagabend bei Maybrit Illner nicht anders, seine Talk-Premiere hat sich der Minister wohl entspannter vorgestellt.

Vielleicht ist Philipp Rösler ein Masochist. Im nicht enden wollenden Clinch um die Zukunft des bundesrepublikanischen Gesundheitssystem rasselt der Gesundheitsminister von der FDP schon permanent mit dem eigenen Koalitionspartner, der CSU, aneinander. Doch als würde ihm das nicht reichen, setzte er sich gestern mutig auf den heißen Stuhl zur Rechten von Maybrit Illner. Und mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach saß auch dort jemand, der an seinen Plänen kein gutes Haar lassen mag. 60 Minuten zankten die beiden um die Deutungshoheit über die Milliarden-Defizite der Kassen.

Es ist keinen Monat her, da handelte Rösler sich mit seiner Vorschlag zur Gesundheitsreform eine derbe Abfuhr bei Seehofer und dessen Getreuen ein. Vokabeln wie „Gurkentruppe“, „Rumpelstilzchen“ und „Wildsau“ wechselten zwischen den Lagern – Röslers geplante Strukturreform war tot, bevor sie je lebte. Nun bescheidet er sich mit Beitragserhöhungen von 0,3 Prozent und möglichen Zusatzbeiträgen der Krankenkassen. „Lizenz zum Abkassieren – Wie gerecht ist Ihre Gesundheitsreform, Herr Rösler?“ fragte darum gestern ZDF-Talkerin Maybrit Illner. Das wollten auch die übrigen Gäste wissen, Frank Ulrich Montgomery Vize-Präsident der Bundesärztekammer, GKV-Spitzenverbandsvorsitzende Doris Pfeiffer und der Medizinjournalist und Autor Werner Bartens.

Rösler hatte nur ein Argument mitgebracht

Neues hörten sie alle vom Jungminister nicht. Zu seinem ersten Auftritt in einer politischen Talkrunde hatte Rösler eigentlich nur ein Argument mitgebracht, dass er in immer neuen Variation wiederholte: Den Krankenkassen fehlen im nächsten Jahr 11 Milliarden Euro und dieses Loch müsse im Interesse einer stabilen Gesundheitsvorsorge eben schnell gestopft werden. Strukturreform, Systemwechsel? Kann man alles später in Ruhe machen.

Auch beim Erklären seiner neuen Reform machte es sich der Minister recht einfach. Eine Beitragserhöhung von 0,3 Prozent: Das sind zwei bis 8 Euro für jeden Versicherten und dafür bekommt er bei Bedarf ja schließlich eine Herz-Operation für 100.000 Euro. Zusatzbeiträge der Kassen: Wird es doch wahrscheinlich eh nicht geben, man mache ja eine Beitragserhöhung, um eben solche Zusatzbeiträge zu verhindern. Komplizierter und als bürokratisch kritisierter Sozialausgleich: Muss doch keiner verstehen, wie das funktioniert, ist ja ein automatisches System.

Lauterbach warf mit Torten

Und genau beim Sozialausgleich tappte Rösler richtig in die Falle. Zunächst wiegelte er ab, stellte heraus, der Ausgleich aus Steuermitteln werde kaum eine Milliarde Euro betragen und die werde er seinem Kabinettskollegen Schäuble schon aus dem Kreuz leiern. Als es aber später in die Diskussion gleich von mehreren Seiten Kritik hagelte, die Zusatzkosten würden viel zu einseitig den GKV-Versicherten aufgebürdet, Arbeitgeber, Selbstständige oder Privatversicherte täten nichts zu Stützung des Gesundheitssystems, wuchs die Bedeutung des Sozialausgleichs sprunghaft. Auf einmal wurde der „Sozialversicherungsrückausgleich“ ein großartiges Instrument, der alle Gesellschaftsteile mit in Solidarität und Verantwortung nehmen würde.

Da hatte es Karl Lauterbach in der Talkrunde schon leichter. Vergessen, dass auch seine Partei über Jahre keine zukunftsfeste Strukturrefom zu Wasser bringen konnte. Röslers Vorgängerin Ulla Schmidt von der SPD hatte ihre Rolle einmal mit dem Gefühl beschrieben, egal was sie tue, ihr würden ständig Torten ins Gesicht geworfen. Auch Karl Lauterbach warf gestern mit Torten – nach Philipp Rösler. Genüsslich hielt er ihm immer wieder vor, dass eine Beitragserhöhung nur den Geldbeutel der mittleren Einkommen treffen würde. Also „Weniger Netto vom Brutto“. Gelächter und Applaus vom Publikum, säuerliche Blicke von Rösler.

Nur einmal hatte auch Philipp Rösler die Lacher auf seiner Seite. Angesprochen auf den Dauerzoff zwischen FDP und CSU und wer mit dem jetzigen Reformvorhaben eigentlich der Gewinner dieses Machtkampfes war, sagte er: die Versicherten. Das rang sogar dem sonst so schwermütigen Karl Lauterbach ein Lächeln ab.