Berlin. .
Aufarbeitung am Tag 1 nach der Präsidentenwahl: SPD, Grüne und die Linkspartei überziehen sich gegenseitig mit Vorwürfen. Auch ein Nazivergleich in den Reihen der Linken heizte die Stimmung zusätzlich an.
Die Gräben zwischen SPD und Grünen auf der einen und der Linkspartei auf der anderen Seite sind durch die Umstände der Bundespräsidentenwahl offensichtlich noch tiefer geworden. Mit teilweise wüsten Worten attackierten sich am Donnerstag führende Vertreter und wiesen sich gegenseitig die Schuld dafür zu, dass der schwarz-gelbe Kandidat Christian Wulff siegte.
Die Spitzen von SPD, Grünen und Linken hatten am Mittwochnachmittag nach dem Scheitern Wulffs in den ersten beiden Wahlgängen Gespräche über ein konzertiertes Vorgehen geführt. Rot-Grün forderte die Linke mit Nachdruck auf, den Gegenkandidaten Joachim Gauck mitzuwählen. Die lehnte ab, brachte zwischenzeitlich die Nominierung eines neuen gemeinsamen Kompromiss-Kandidaten (Klaus Töpfer) ins Spiel. Was für SPD und Grüne ein Unding war. Am Ende zog die Linke zwar ihre aussichtslose Kandidatin Luc Jochimsen zurück, 121 von 124 linken Wahlleuten enthielten sich aber in der abschließenden Abstimmung.
„Problembär“ Gabriel
SPD wie Grüne sagten der Linkspartei daraufhin „Politikunfähigkeit“ nach. Anstatt die Chance zu nutzen, die Merkel-Regierung substanziell zu schwächen, verharre die Linke in ihrem „ideologischen Schneckenhaus“, hieß es nach dem neunstündigen Wahl-Marathon. Am Donnerstag kam der Konter von der Linken-Partei-Doppelspitze. Klaus Ernst bezeichnete SPD-Chef Sigmar Gabriel als „Problembär“ der Opposition, der Gauck absichtsvoll verheizt habe.
Seine Co-Vorsitzende Gesine Lötzsch beschwerte sich, dass SPD und Grüne vorher nie den aufrichtigen Versuch unternommen hätten, einen gemeinsamen Kandidaten zu finden. Dazu warf sie Gabriel „schlechten Stil“ vor. Allen außer den Linken habe dieser per SMS die Personalie Gauck offeriert; wissend, dass der Ex-Stasiunterlagenbehördenchef für viele Linke in Ostdeutschland eine Provokation darstelle.
Ein Argument, das der thüringische Fraktionschef der Linken, Bodo Ramelow, im Gespräch mit DerWesten erhärtete: „Gaucks Aussage, die Linke sei noch immer nicht im europäischen Haus angekommen“, hat viele unserer Wähler zwischen Magdeburg und Leipzig geradezu entsetzt. Die hätten wir irreparabel verprellt, wenn wir für Gauck gestimmt hätten.“
Eklat über Nazi-Vergleich
Trotz des Zerwürfnisses wegen Gauck halten die Linken Äußerungen der Grünen-Chefin Claudia Roth für maßlos überzogen, wonach die Chance für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Rot-Rot-Grün vertan sei. Punktuell, etwa bei der Bekämpfung des schwarz-gelben Sparpakets im Herbst, so der Vorsitzende Ernst, könne man sich eine Zusammenarbeit in der Opposition sehr wohl vorstellen; „entscheidend sind die konkreten Inhalte.“
Umso unangenehmer war Ernst und Lötzsch eine Aussage ihres Abgeordneten-Kollegen Dieter Dehm. Der für irrlichternde Wortbeiträge bekannte Politiker hatte im Reichstag auf die Journalisten-Frage, ob die Linke für Gauck stimmen könne, gegengefragt: „Was würden Sie tun, wenn Sie die Wahl hätten zwischen Hitler und Stalin, zwischen Pest und Cholera?“ Wütende Reaktion aus SPD-Kreisen: „Dehm - wie dämlich!“ Auch aus den eigenen Reihen setzte es heftige Kritik. „Völlig absurd und inakzeptabel“, sagte Fraktions-Vize Dietmar Bartsch der „Leipziger Volkszeitung“. Am Donnerstag entschuldigte sich Dehm. SPD und Grünen reicht das nicht. Sie haben den Ältestenrat des Bundestages eingeschaltet.