Berlin. Der Student Benno Ohnesorg soll von einem Stasispitzel erschossen worden sein. Wie aus Dokumenten der Birthler-Behörde hervorgehen soll, war der Todesschütze Karl-Heinz Kurras bei der Stasi. Der Fall könnte nocheinmal die Justiz beschäftigen: Gegen Kurras wurde Strafanzeige gestellt.

Der Polizist Karl-Heinz Kurras, der 1967 in Berlin den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, muss angesichts der Enthüllungen über seine mutmaßliche Stasi-Mitarbeit womöglich mit neuen Ermittlungen rechnen. Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) habe Strafanzeige wegen Mordes gegen Kurras gestellt, sagte ihr stellvertretender Vorsitzender Carl-Wolfgang Holzapfel am Freitag. «Wir wollen mit der Anzeige erreichen, dass der Fall neu aufgerollt wird und mögliche Verstrickungen der Stasi aufgeklärt werden», sagte Holzapfel der Nachrichtenagentur AFP.

Keine Indizen für Auftragsmord

Ob gegen den ehemaligen Beamten nun wegen Mordes und geheimdienstlicher Agententätigkeit ermittelt wird, werde die Staatsanwaltschaft ab kommender Woche prüfen, hieß es aus Berliner Justizkreisen. Das Landgericht Berlin hatte Kurras 1967 aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

Laut «Deutschland Archiv» arbeitete Kurras seit 1955 für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Dies gehe aus Dokumenten hervor, die im Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde gefunden wurden. Kurras hatte am 2. Juni 1967 am Rande einer Demonstration aus nächster Nähe auf Ohnesorg geschossen. Der Student erlag später seinen schweren Verletzungen. Sein Tod löste eine Radikalisierung der Studentenbewegung im Westen aus. Hinweise darauf, dass Kurras den Studenten im Auftrag der Stasi erschoss, gibt es nicht.

Der Historiker Arnulf Baring sagte am Freitag im ZDF-Morgenmagazin, Kurras habe mit seiner Tat «objektiv der DDR genützt». Nach seiner Überzeugung wären die von der Erschießung Ohnesorgs ausgelösten Studentenproteste aber nicht anders verlaufen, wenn damals schon die Stasi-Mitarbeit von Kurras bekanntgewesen wäre. «Die Studenten hätten das doch nicht geglaubt. Die hätten geglaubt, das sei eine typische Presselüge der Springer-Presse», sagte Baring in dem Fernsehinterview.

Der tödliche Schuss auf den Studenten Ohnesorg am Rande der Proteste gegen den Besuch des Schahs von Persien war Auslöser der Studentenunruhen und Proteste gegen den Springer-Konzern und damit letztlich auch für die 68er-Bewegung und die Außerparlamentarische Opposition (APO). Die neuen Erkenntnisse über Kurras fanden zwei Mitarbeiter der von Marianne Birthler geleiteten Stasiakten-Behörde in Berlin heraus, Helmut Müller-Enbergs und seine Kollegin Cornelia Jabs. Danach verpflichtete sich der Berliner Polizist am 26. April 1955 schriftlich zur Kooperation und Konspiration für den DDR-Staatssicherheitsdienst.

Als IM «Otto Bohl» geführt

Er erhielt demnach den Decknamen IM «Otto Bohl» und erklärte sich bereit, der Stasi Informationen aus der Westberliner Polizei zukommen zu lassen. 1962 habe er dann einen Antrag auf Mitgliedschaft in der SED gestellt, in die er nach einer zweijährigen Kandidatenzeit 1964 endgültig aufgenommen wurde. Die beiden Mitarbeiter der Stasi-Behörde gewannen ihre Erkenntnis aus insgesamt 17 Aktenbänden zum Fall Kurras. Ihr Bericht darüber erscheint in der am kommenden Donnerstag herauskommenden Ausgabe der Zeitschrift «Deutschlandarchiv».

Im «Heute Journal» des ZDF sagte Müller-Enbergs am Donnerstagabend, es gebe keine Hinweise darauf, dass Kurras von der Stasi mit dem Schuss auf den Studenten beauftragt worden sei, «und es erscheint auch nicht plausibel, dass er jemanden erschießen sollte». Nach dem tödlichen Schuss auf Ohnesorg war die DDR dem Bericht zufolge vielmehr besorgt, dass die Stasi-Mitarbeit auffliegen könnte. Das Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit habe nach dem Tod des Studenten an Kurras gefunkt: «Material sofort vernichten. Vorerst Arbeit einstellen. Betrachten Ereignis als sehr bedauerlichen Unglücksfall.»

«Sind Sie das?» - «Kann sein»

Kurras wurde später im Prozess um den Schuss auf Ohnesorg vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Er lebt heute 81-jährig in Berlin. Vom ZDF mit dem Dokument über seine Verpflichtungserklärung konfrontiert und gefragt «Sind Sie das?», antwortete er: «Kann sein.» Seine Frau sagte jedoch, derartige Dokumente könnten auch gefälscht sein.

Neben der deutschen Unterstützung des US-Engagements im Vietnamkrieg führte nicht zuletzt der Tod Ohnesorgs dazu, dass sich Teile der APO radikalisierten, in den Untergrund gingen und schließlich in den Terrorismus abdrifteten. Eine terroristische Vereinigung bezog sich sogar mit ihrem Namen auf den Tod Ohnesorgs: Die «Bewegung 2. Juni», die den CDU-Politiker Peter Lorenz entführte. (ap)