"Die 68er. Kurzer Sommer – lange Wirkung"
„Politik ist die Frage, wie Du Dein Leben lebst, nicht, wen Du wählst.“
Jerry Rubin
„Wir haben nichts zu verlieren außer unserer Angst“
Ralph Christian Möbius
„Für mich war die Agitation immer so: Das kann man doch besser machen, das kann man doch so machen, dass die Leute das kapieren! Eure Arbeiter verstehen nicht einen Satz davon, so ein Quatsch! Es fehlte ihnen wirklich nicht die Lust an der Demagogie, Dutschke war ein großer Demagoge, es fehlte ihnen die Fähigkeit zur Demagogie. Das war das Merkwürdige.“
Eva Demski, Schriftstellerin, 2007
„Die Struktur war so, dass die Mitarbeiter Beschlüsse fassen konnten. Sie konnten darüber entscheiden, was in diesem Betrieb stattfindet, was da für Bücher eingekauft werden, wie sich diese Buchhandlung nach außen präsentiert, welche politischen Projekte sie eventuell unterstützt.“
Harry Oberländer, Mitarbeiter der Karl-Marx-Buchhandlung, 2007
„Man muss ja auch sehen, dass es nicht vereinzelte Buchhandlungen waren, sondern dass es eine Struktur des linken Buchhandels gab damals, in Berlin, Hamburg, Frankfurt, München, auch kleineren Städten wie Tübingen, Heidelberg usw., die sich zusammengeschlossen haben. Es ist teilweise so gewesen, dass diese Buchhandlungen in den kleineren Städten – weniger in Frankfurt – dann auch das Zentrum waren, wo Veranstaltungen wie Teach-ins geplant wurden.“
Harry Oberländer, Mitarbeiter der Karl-Marx-Buchhandlung, 2007
„Wenn ich heute daran zurückdenke, hatten wir sehr romantische Vorstellungen davon, wie ein anderes Leben aussehen könnte. Das waren gewisse Grundsätze wie die gemeinsame Kindererziehung, und wir vermischen Privatleben mit politischem Engagement und Arbeit. Das waren große Ideen. Ich muss sagen – ich war 18 damals –, ich fand das toll. Keine Kleinfamilie mehr und sehr direkter Kontakt zwischen Leuten, wo man sagt, was man denkt, sich auch kritisiert und fähig sein muss, Kritik anderer zu akzeptieren. Das waren alles großartige Ideen.“
Beatriz Graf, seit Mitte der 1970er Jahre bei Longo maï, 2007
„Ich hatte sehr viele Lehrer, die zum Teil offen Nazis, zum Teil verkappte Nazis waren. Wenn wir gerade vergessen hatten, die Hausaufgaben zu machen, mussten wir unserem Englischlehrer nur das Stichwort geben: ‚Erzählen Sie doch mal, wie es in Stalingrad war.’ Da war die Stunde gelaufen. Ich könnte noch heute die Schlachtordnung von Stalingrad aufsagen. Noch heute habe ich das Kratzen der Kreide im Ohr, wenn er die Anordnung der Truppen des Iwan – der Iwan war der Russe – aufzeichnete. Nicht mit der Spitze der Kreide, sondern die Kreide flach genommen, hat er dann Blöcke gezeichnet. Auf der einen Seite lag der Iwan, auf der anderen Seite lagen wir.“
Günter Amendt, SDS-Mitglied und Sexualwissenschaftler, 2007
„Das Problem, als wir sehr klein waren, war das Bettnässen. Ich werde nie in meinem Leben vergessen, dass in einem von Diakonissen geleiteten Ferienheim derjenige, der wieder ins Bett gemacht hatte, mit dem nassen Betttuch um den Kopf in den Hof gestellt wurde. Wir haben dann im Ringelreihen Spottverse auf ihn singen müssen. Auch meine Freundinnen und Freunde haben solche Geschichten erlebt. Bis zur schockartigen Erfahrung, dass man auch Lieder gesungen hat, die man einfach als Volkslieder beigebracht bekommen hat, von denen man dann erfuhr, dass es Lieder waren, die deutsche Soldaten gesungen haben. ‚Wildgänse rauschen durch die Nacht mit schrillem Schrei nach Norden.’ Mein Kopf ist voll von diesen Sachen.“
Günter Amendt, SDS-Mitglied und Sozialwissenschaftler, 2007
Ein Gewimmel von Reminiszenzen, Allegorien, Selbsttäuschungen, Verallgemeinerungen und Projektionen hat sich an die Stelle dessen gesetzt, was in diesem atemlosen Jahr passiert ist. Die Erfahrungen liegen begraben unter dem Misthaufen der Medien, des ‚Archivmaterials‘ – einer Wirklichkeit, die unter der Hand unvorstellbar geworden ist. Mein Gedächtnis, dieser chaotische, delirierende Regisseur, liefert einen absurden Film ab, dessen Sequenzen nicht zueinander passen. Vieles ist mit wackelnder Handkamera aufgenommen. Die meisten Akteure erkenne ich nicht wieder. Je länger ich mir das Material ansehe, desto weniger begreife ich. Es war nicht möglich, das alles gleichzeitig zu verstehen.
Hans Magnus Enzensberger
„Die tschechischen Städte waren mit Tausenden von handgemalten Plakaten übersät: höhnische Aufschriften, Epigramme, Gedichte, Karikaturen auf Breschnew und seine Armee, über die alle lachten, wie über einen Zirkus der Analphabeten.“
Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, 1984
„Ich denke, es ist eine Sehnsucht gewesen auch, der Deutschen, nach einer anderen Welt. Eine Sehnsucht nach Befreiung. Im Grunde waren die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt – die man in Deutschland gar nicht so genau kannte – Gegenstand einer Sehnsucht, die mit der Lage der Menschen in Deutschland etwas zu tun hatte.“
Bahman Nirumand, Autor von „Persien. Modell eines Entwicklungslandes oder die Diktatur der freien Welt“ (1967) und freier Publizist, 2007
„Eines Tages fing ich da an, in der Schule Zitate von Mao Tze-tung an die Tafel zu schreiben. Da standen dann so schwachsinnige Sätze wie ‚Die Basis ist die Grundlage des Fundaments’ oder: ‚Gewalt ist unter allen Umständen gerechtfertigt.’ Wir fanden, die Aufhebung des Gegensatzes von Kopf- und Handarbeit sei doch irgendwie ein progressiver Sprung, und forderten dann unsererseits an der Universität: ‚Professoren in die Produktion!’“
Claus Leggewie, Sozialwissenschaftler, 2007
„Das ist auch für mich erstaunlich, weil ich dem genauso unterlag wie alle anderen. Wir waren begeistert von der chinesischen Kulturrevolution, weil die alles offen legten und die Gesellschaft auch kulturell umwälzten. Man hat gar nicht dahinter geschaut, was da alles innerhalb dieser „Befreiungsbewegungen“ passiert. Was in China während der Kulturrevolution passiert ist, dass da Hunderttausende, Millionen umgebracht wurden, das alles wussten wir nicht. Das wollten wir nicht wissen.“
Bahman Nirumand, 2007
„Der rote Stern an der Jacke / Im schwarzen Bart die Zigarre / Jesus Christus mit der Knarre / so führt Dein Bild uns zur Attacke / Uns bleibt, was gut war und klar war / Dass man bei Dir immer durchsah / Und Liebe, Hass, doch nie Furcht sah / Commandante Che Guevara.“
Wolf Biermann, nach einem Gedicht von Carlos Puebla, 1975
„Das alles passte uns in unser Konzept. Man stelle sich vor: Che Guevara schmeißt alle Ämter weg und verzichtet auf Macht und sagt: Ich bin für die Befreiung der Menschen, ich will nicht herrschen – das ist doch phantastisch! Diese Art und Weise, wie ein Revolutionär sich verhält, wie Partisanen kämpfen, wie sie auf alle Güter der Welt verzichten, diese heroische Haltung, wo man sich sozusagen für die Befreiung der Menschheit ‚opfert’ – das alles hat einen tiefen Eindruck hinterlassen.“
Bahman Nirumand, 2007
„Das entscheidende Moment zwischen der Künstlergruppierung – also Adorno bis Beuys – und der allgemeinen sozialen politischen Bewegung war, dass die Künstler den Demonstranten die Mittel zur Verfügung stellten, mit denen die auf die Straße gingen. Das Thema hieß Monstranz und Demonstranz. Wir bauten neue Monstranzen, interessante Formen von Spruchbändern oder Aufmerksamkeit erregende Bewegungsformen. Es kam so weit, dass Vostell neben den Demonstranten herlief und ihnen zurief: ‚Was Ihr das gerade macht, hab ich ja gerad erfunden.’“
Bazon Brock, Professor für Ästhetik und Kunstvermittlung, 2007
„Aber mit dem Schuss auf Benno Ohnesorg da fing eine andere Spur auch an. Das war natürlich ein Moment: Es wird ernst, die schießen auf uns. Und dann kommt Dutschke dazu. Die Presse hetzt und dann wird der Studentenführer, unsere Stimme, wird auf der Straße ermordet. Sie köpfen sozusagen die Häupter. Das war ein Gefühl von Angst, wirklich, von Angst und Bedrohung. Durch diese ständige Erfahrung von Repression ist man dahin gekommen, von der Revolte zu sprechen, nicht vom Protest, von der Revolte und dann auch von der Revolution.“
Hannes Heer, Historiker und Macher der Wehrmachts-Ausstellung 2007
„Verständlich, dass die jungen protestierenden APO-Genossen angefangen haben, sich zu wehren, Steine geschmissen haben, Aktionen machten, die immer militanter wurden. Man zerschlug Scheiben, machte irgendwo Go-ins, schmiss Akten aus dem Fenster und diese ganzen, ja, Regelwidrigkeiten. Das gehört auch ein bisschen dazu. Eine Revolte ohne Feuerzauber ist ja auch nichts.“
Barbara Sichtermann, Aktivistin der APO in Berlin, 2007
„Ich muss sagen, dass mir die politische Analyse der RAF , die gesamten Schriften, weitgehend unverständlich waren. Da gab es ja so klandestine Schriften, das waren völlig unlesbare Texte für mein Gefühl. Ich habe dann eher … mitgefühlt mit denen, wie sie da im Knast untergebracht worden sind mit der Kontaktsperre und diesen Geschichten. Dieser Text von der Ulrike Meinhof und solche Sachen, die haben mich schon sehr wütend gemacht, ohne dass dies bei mir dazu geführt hätte, dass ich auch nur eine Fensterscheibe eingeworfen hätte.“
Renate Chotjewitz-Häfner, Publizistin, 2007
„Es sollte anders werden als bei unseren Eltern, mit deren Schicksal ich nie hab’ tauschen wollen. Was die mitgemacht haben, das war einfach grauenhaft. Diese Nazischeiße und dann nachher dieses Stolpern und dieses Nicht-darüber-reden-können. Unser abgrundtiefes Misstrauen den Vätern gegenüber, die da versagt hatten, hat uns entfernt von der Institution Familie. Da haben die Väter viel mehr dazu beigetragen, als sie wollten.“
Henner Drescher, Grafiker, 2007
„Die Formen, in denen die Menschen miteinander lebten, fanden wir damals viel zu starr, zu reglementiert, zu überlebt, zu falsch. Man hatte ja die Quittung gerade gekriegt. Man hatte den autoritären Charakter kennen gelernt als Mitläufer von Hitler. Man las die großen Köpfe der Frankfurter Schule und wusste: Es geht so nicht weiter, der Mensch muss sich ändern.“
Barbara Sichtermann, 2007
„Gucken Sie sich die Leute an in ihren antiquierten Klamotten. Ich denke immer, es seien Bilder aus den dreißiger Jahren. Dabei ist das mitten in den sechziger Jahren, wo klar war: ‚Ab ins Lager! Vergasen!’ – Damit meinten sie uns. Wir wussten, wir bewegen uns in einer feindlichen Umgebung.“
Günter Amendt, 2007
„Das hat mich echt bis ins Tiefste erschüttert, die Vorstellung oder auch der Anblick, dass im Weiberrat nur Frauen sitzen, die sich ernst nehmen, Politik machen und über Theorie reden. Da hatte ich den Eindruck, es geschieht etwas Ungeheuerliches.“
Barbara Köster, Mitglied des Frankfurter Weiberrates, 2007
„Wir waren echt froh, dass wir die Pille hatten. Ich glaube, dass ohne Pille die ganzen 68er nicht passiert wären. Wie hätten die Jungs denn sexuelle Revolution machen sollen? Also ganz bestimmt nicht mit dem Kondom. Aber es war auch für uns der Schritt. Die Mädchen vor mir noch, ja wenn die Sex hatten und schwanger wurden, dann mussten sie von der Schule abgehen, das war doch das Todesurteil mit 17 oder 18.“
Barbara Köster, Mitglied des Frankfurter Weiberrates, 2007