Berlin. Ist die Birthler-Behörde mit der Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen überfordert? Die Frage kursiert, seit zufällig bekannt wurde, dass Benno Ohnesorg von einem IM getötet wurde. Der frühere Behördenchef Joachim Gauck weist die Kritik zurück - wie auch die These eines Mords im Stasi-Auftrag.

Der Zufallsfund im Fall Ohnesorg löst Kritik an der Stasi-Aufarbeitung aus. Ist ihre frühere Behörde überfordert?

Joachim Gauck: Es sind wieder Stimmen laut geworden, die weniger von Analyse als von Interessen geleitet werden. Solche Vorwürfe sind ein Schmarrn. Welche Interessen verfolgt denn etwa der Chef des Forschungsverbundes SED-Staat?

Herr Schröder hat zum wiederholten Mal die Existenz der Behörde und ihre Arbeit in Frage gestellt.

Gauck: Es stört mich besonders, dass so getan wird, als wäre es die Hauptaufgabe der Bundesbeauftragten und ihrer Mitarbeiter, alles über die Arbeit der Stasi im Westen herauszufinden.

Aber es gehört dazu. . .

Gauck: Der gesetzliche Auftrag besteht zu völlig anderen Dingen, nämlich dazu, Anträge zu bearbeiten. Die Behörde ist eine Agentur, die zwischen berechtigten Antragstellern und dem Aktenkonvolut, das sie verwaltet, vermitteln soll.

Wer soll dann das Stasi-Unwesen im Westen aufdecken?

Gauck: Wenn es einen Fortschritt für die Aufklärung in einem weniger wichtigen Bereich der Behörde geben soll was die Stasi im Westen gemacht hat, ist so ein Bereich müssten zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Dann müsste Professor Klaus Schröder mit seinem Forschungsverbund fünf Planstellen hergeben, die speziell für diese Aufgabe zur Verfügung stünden.

Warum ist denn die West-Aktivität kein Schwerpunkt?

Gauck: Ich warne davor, die Neugier oder das wissenschaftliche Interesse des größeren Teils Deutschlands für wichtiger zu halten als die Aufarbeitung der Diktatur für diejenigen, die tatsächlich unterdrückt waren. Im übrigen: Das Gros der Akten über die Westarbeit ist vernichtet worden, bevor es die Behörde gab. Die HVA der Stasi durfte sich eigenständig auflösen, wir haben nur Restbestände der Unterlagen erhalten.

Würde eine Auslagerung der Akten ins Bundesarchiv mehr Forschungsergebnisse bringen?

Gauck: Das brächte keinen Fortschritt. Es handelt sich um Akten sui generis, sie blieben auch im Bundesarchiv unter besonderer Regie. Es wäre keinesfalls die von den Forschern so ersehnte Zugangsberechtigung zu ungeschwärztem Material.

Halten Sie es für möglich, dass der Polizist Kurras Benno Ohnesorg 1967 im Auftrag der Stasi ermordet hat?

Gauck: Ich kenne die Akten nicht, aber ich gehe nicht davon aus. Welchen Sinn sollte es für die Stasi gehabt haben, ein völlig unbekanntes Opfer zu töten. Um zu provozieren, hätte man doch eher einen der Führer ermordet, Dutschke oder ein anderes bekanntes Gesicht der Revolte. Tötungsaufträge sind nicht sehr häufig vorgekommen. Kurras war wohl ein durchgeknallter Charakter.

Das Interview erschien zuerst in der Thüringer Allgemeinen.