Berlin. .
Im Radsport wäre es verpönt, in der Politik ist es clever: Im Windschatten seiner Konkurrenten hat Christian Wulff das CDU-interne Rennen um Schloss Bellevue gewonnen. Bei der SPD stößt die Entscheidung auf Kritik.
Drei Tage lang stand nur Ursula von der Leyen im Licht der Öffentlichkeit, wenn es um die Frage der Nachfolge für Horst Köhler ging. Drei Tage lang lag sie als Favoritin vorn. Dann setzte Wulff sein Überhol-Manöver an. Der Parteivorstand nominierte ihn am Abend als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten..
Die Personalie ist mit FDP und CSU abgesprochen und die gemeinsame Mehrheit in der Bundesversammlung komfortabel. Der niedersächsische Ministerpräsident verdrängte auf den letzten Metern seine Landsfrau und früheres Kabinettsmitglied in Hannover, Ursula von der Leyen.
Die Sozialministerin galt als Top-Kandidatin von Kanzlerin Angela Merkel. Auch wenn Grüne und SPD schon in den nächsten Stunden einen respektablen Gegenkandidaten aufbieten wollen, so wäre alles andere als eine Wahl Wulffs am 30 Juni eine große Überraschung. Mitte des Monats wird er 51 Jahre alt. Wulff wäre der bisher jüngste Bundespräsident.
Wulff wurde seit langem nachgesagt, dass er eine neue Aufgabe sucht. Er sass politisch auf gepackten Koffern: Den CDU-Landesvorsitz hatte er abgetreten und zuletzt sein Kabinett In Hannover umgebildet. Mit dem Umzug in Schloss Bellevue hinterlasst er seinem Nachfolger ein bestelltes Haus. Warum von der Leyen im Machtkampf alt aussah, darüber kursieren in Berlin zwei Erklärungen. Die eine lautet: Merkel habe für die Sozialministerin keinen passenden Nachfolger gefunden. Prädikat: Unentbehrlich. Eine schonende Erzählung. Nach der zweiten Version hat Wulff gestern seinen Anspruch angemeldet, Merkel wollte ihren CDU-Vize nicht brüskieren und den niedersächsischen Stimmenblock am 30 Juni aufs Spiel setzen. Und warum sollte sie? Mit Wulff wird sie auch einen Rivalen, einen Ersatzkanzler, los und kann bald die CDU-Spitze neu ordnen. Dann fallt bestimmt auch für Ursula von der Leyen was ab.
Harsche Kritik der SPD
Die Entscheidung von Union und FDP, mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff in die Wahl um den neuen Bundespräsidenten zu gehen, stößt in der SPD auf heftige Ablehnung. Nach Informationen der WAZ hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel Bundeskanzlerin Angela Merkel Gespräche über einen gemeinsamen Kandidaten angeboten, der nicht zwingend SPD und Grünen angehören müsse. Nach den vorliegenden Informationen wäre als gemeinsamer Kandidat aus SPD-Sicht nicht nur der von Sozialdemokraten und Grünen nicht vorgeschlagene frühere Stasi-Behörden-Chef Joachim Gauck infrage gekommen, sondern auch der frühere Umweltminister Klaus Töpfer. Töpfer gehört zwar der Union an, hat sich inzwischen aber nicht zuletzt nach seiner Tätigkeit in den Vereinten Nationen lager-übergreifend einen guten Ruf verschafft.
Merkel hatte angekündigt, die SPD in ihre Entscheidung einzubeziehen. Dies ist nun nicht geschehen. Darüber sprach DER Westen mit SPD-Chef Sigmar Gabriel gestern Abend unmittelbar nach der offiziellen Verkündung von Wulff als Präsidentschaftskandidat von Schwarz-Gelb. „Angela Merkel hat das Angebot von SPD und Grünen ignoriert, für das Amt des Bundespräsidenten jemanden zu nominieren, der über die parteipolitischen Grenzen hinaus wirkt“, sagte Gabriel Der Westen. „Ihr Versprechen, auch das Gespräch mit der Opposition zu suchen, hat sie gebrochen.“ Erst eine halbe Stunde vor der offiziellen Verkündung Wulffs habe sie die Sozialdemokraten informiert, kritisierte Gabriel. Der SPD-Chef kritisierte Merkel grundsätzlich. „Mitten in einer der größten wirtschaftlichen und politischen Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik hat sie nicht auf Integration und Zusammenarbeit gesetzt, sondern auf Parteitaktik.“ Dabei habe sie zwei Gesprächsangebote der SPD ausgeschlagen, obwohl „wir ihr klar gesagt haben, dass wir auch einen CDU-Kandidaten unterstützen werden, wenn er mehr ist als eine Lösung der CDU-internen Konflikte“.
Nun habe die Kanzlerin eine „dramatische Niederlage“ erlitten. Im „innerparteilichen Machtkampf“ habe sie ihre Favoritin, die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, nicht „gegen die konservativen CDU-Hardliner“ durchsetzen können. Der konservative Anden-Pakt, den der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch mit Wulff und anderen CDU-Politikern vor Jahren mit dem Ziel der gegenseitigen Karriere-Förderung geschlossen hatte, „hat sich heute an Angela Merkel gerächt und Wulff gegen von der Leyen durchgesetzt“, sagte Gabriel dem Westen. „Zwei Frauen, modern dazu, waren wohl etwas zu viel für die Union“, so der SPD-Vorsitzende. Gabriel sieht Gauck gleichwohl als Angebot auch an Union und FDP, sich immer noch auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Köhler-Nachfolge zu verständigen.