Brüssel. Europa hat gewählt. Die Ergebnisse liegen als Zahlen vor. Aber was bedeuten sie? Welche Folgen hat dieses Wahlergebnis für die Länder Europas und das Brüsseler Parlament? Knut Pries gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Können die Christdemokraten jetzt durchregieren?
Nein. Zwar hat die christdemokratische EVP (267 Mandate) ihren Abstand zu den Sozialdemokraten (159) auf über hundert Sitze erhöhen können, und das, obwohl die britischen Tories und die tschechische ODS künftig nicht mehr zur Fraktion gehören. Doch die Mehrheit liegt bei 368 beziehungsweise 379 (wenn der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt) – der „Koch” braucht als „Kellner”. Eine Verbindung von Christdemokraten und Liberalen reicht nicht aus, sie kommen zusammen nur auf 348 Abgeordnete. Deswegen macht der bisherige (und wohl auch künftige) EVP-Fraktionschef Daul den geschrumpften Sozialdemokraten Avancen – ohne die liberale ALDE-Fraktion aus den Augen zu verlieren. Deren bisheriger (nicht mehr künftiger) Chef Graham Watson kann sich einen schwarz-rot-gelben Dreier gut vorstellen – es wäre auch seine einzige Chance, doch noch für eine begrenzte Zeit Parlamentspräsident zu werden.
Wird Kommissionspräsident José Manuel Barroso jetzt wiedergewählt?
Jedenfalls sind seine Chancen bestens. Zwar wollen die Grünen um Daniel Cohn-Bendit im Parlament, das zustimmen muss, eine Mehrheit gegen den Portugiesen organisieren. Woher die kommen soll, ist aber nicht zu sehen. Die konservativen EU-Premiers sind auf ihren Parteifreund Barroso festgelegt. Die Liberalen und selbst einige sozialdemokratische Regierungen unterstützen seine Kandidatur.
Die EVP, die im Parlament stärkste Fraktion wurde, hat ihn gleichfalls offiziell auf den Schild gehoben. Da werden Widerstände auf der Linken und vereinzelte Vorbehalte in den eigenen Reihen nicht reichen, einen Gegenkandidaten aufzubieten. Die Frage ist eher, wann Barroso von den Staats- und Regierungschefs für eine zweite Amtszeit nominiert wird. Sie tendieren dazu, das erst im Herbst zu tun, wenn klar ist, ob der Lissabon-Vertrag doch noch kommt.
Welchen Einfluss haben die Rechten?
Nationalistische und zum Teil aggressiv fremdenfeindliche Parteien erzielten in zahlreichen Mitgliedsstaaten zum Teil beträchtliche Zuwächse. In Belgien, Frankreich und Polen brach die Rechte zwar ein. Aber in Österreich, Dänemark, Finnland, Griechenland, Ungarn, Italien, den Niederlanden, Rumänien und Großbritannien legte sie zu und wird im künftigen Plenum eine größere Truppe stellen.
Hinzu kommt ein breites und buntes Spektrum aus Euro-Verächtern unterschiedlichen Härtegrades, bei dem die britischen Tories das größte Gewicht haben. Der Gesamt-Einfluss beider Gruppierungen wird indes durch notorische Einigungsschwierigkeiten begrenzt. Bei den Rechten war in der vergangenen Legislaturperiode der Versuch einer Fraktionsbildung schnell gescheitert. Die Europafreunde der rechten und linken Mitte werden unter dem Druck vom rechten Rand womöglich enger zusammenrücken.
Was wird jetzt aus dem Lissabon-Vertrag?
Der Versuch des irischen Geschäftsmanns Declan Ganley und seiner „Libertas“-Bewegung, die Europawahl zum Referendum gegen den Lissabon-Vertrag zu machen, ist gescheitert. Nur in Frankreich eroberte ein Libertas-Verbündeter ein Mandat. Ganley selbst, treibende Kraft hinter dem „Nein“ der Iren bei der Volksabstimmung über „Lissabon“, wird vermutlich keinen Sitz Straßburg bekommen. Für diesen Fall hatte er angekündigt, sich aus der Kampagne vor der neuerlichen Volksabstimmung in seiner Heimat herauszuhalten.
Die Hauptfrage ist, ob die krisengeschüttelten Iren sich mit der Bestrafung der Regierung in der Europawahl zufrieden geben oder ob auch das Lissabon-Referendum in Mitleidenschaft gerät. Wenn Irland zustimmt, bevor in Großbritannien eine neue (konservative?) Regierung ans Ruder kommt, sieht es gut au