Dresden. Die SPD hat ihrem neuen Vorsitzenden einen großen Vertrauensvorschuss gegeben. Sigmar Gabriel wurde auf dem Bundesparteitag in Dresden mit großer Mehrheit zum neuen SPD-Vorsitzenden gewählt.

Die SPD hat mit viel Selbstkritik und der Wahl Sigmar Gabriels zum neuen Parteichef Konsequenzen aus ihrer schweren Schlappe bei der Bundestagswahl gezogen. Der Parteitag in Dresden bestimmte den 50-jährigen Ex-Umweltminister am Freitag mit einer überwältigenden Mehrheit von 94,2 Prozent Ja-Stimmen zum Nachfolger von Franz Müntefering.

Zuvor hatte Gabriel Fehler in elf Jahren SPD-Regierungszeit eingeräumt und die Partei aufgefordert, mit einer entschlossenen Opposition gegen Schwarz-Gelb die politische Mitte wieder nach links zu rücken. Sowohl der alte als auch der neue Vorsitzende riefen die Partei eindringlich zur Geschlossenheit auf.

Für den nach seiner Wahl stürmisch gefeierten Gabriel stimmten in Dresden 472 von 503 Delegierten. Der Parteitag hatte den neuen SPD-Chef schon für seine fast zweistündige Bewerbungsrede mit fast sechsminütigen Ovationen bedacht. Gabriel plädierte für eine Reform der Sozialdemokratischen Partei an Haupt und Gliedern. Dazu sollen mehr Mitsprache, jährliche Bundesparteitage und ein anderer innerparteilicher Umgang miteinander ebenso gehören wie eine inhaltliche Neuausrichtung.

Die SPD habe über die Jahre an Wählerstimmen verloren, weil sie einem falschen Bild von der politischen Mitte gefolgt sei, das ursprünglich stark von Marktradikalen geprägt worden sei. «Statt die Mitte zu verändern, haben wir uns verändert», beklagte er. Die SPD müsse aber die Mitte aus eigener Kraft wieder erobern und so nach links rücken. In der falschen Anpassung an die herrschende Lehre habe die SPD ihre Wählerschaft in ihrem Bedürfnis nach sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit verletzt.

Grundsätzlich offen für Koalition mit Linken

Gabriel bekannte sich zu den Errungenschaften der SPD in der Großen Koalition. Es habe unheimlich viel gegeben, «auf das wir nach wie vor stolz sein können», sagte er. Nur aus Stolz auf das Erreichte könne man Mut und Kraft schöpfen, auch offen über Fehleinschätzungen und das zu reden, was man ändern müsse. Für Koalitionen mit der Linken zeigte sich der neue SPD-Chef grundsätzlich offen. «Aber es gibt auch keinen Grund, aus Prinzip immer welche mit ihnen zu schließen», fügte er hinzu.

Union und FDP warf Gabriel vor, Klientelpolitik gegen das Gemeinwohl zu betreiben, indem die neue Koalition Steuern für Besserverdienende senke und auf eine Zwei-Klassen-Medizin zusteuere. Damit könne sich Schwarz-Gelb nicht dauerhaft in der Mitte halten und ihre Mehrheit sichern. «Macht Euch auf was gefasst. Wir kämpfen wieder in Deutschland um die Deutungshoheit in der Politik, rief Gabriel aus.

Zuvor hatte Müntefering in seiner Abschiedsrede als Parteivorsitzender eingeräumt, dass die verheerende Wahlniederlage der SPD selbstverschuldet war. «Wir waren für zu viele die von gestern, aus der Mode. Zu undeutlich war, mit wem wir was denn würden durchsetzen können», sagte er. Zugleich warnte Müntefering, die SPD dürfe nicht in gegeneinander arbeitende Einzelgruppen zerfallen. «Lasst diese Art von Flügelei», rief er dem Parteitag zu.

Basis macht Unmut Luft

Bei der fast ganztägigen Generaldebatte der 525 Delegierten musste sich die Führung viel Kritik anhören. Vor allem die SPD-Linke bemängelte mangelnde Grundsatztreue und mahnte mehr Selbstkritik der Spitzenpolitiker an. Mit 66 Rednern auf der Liste nahm die Aussprache über Münteferings Rechenschaftsbericht so viel Raum ein, dass sich die Wahl Gabriel zum neuen SPD-Vorsitzenden bis in den Abend verzögerte.

Immer wieder machte die SPD-Basis in der Aussprache ihrem Unmut über das desaströse Bundestagswahlergebnis Luft. Als Konsequenz wurden eine schonungslose Analyse und mehr Glaubwürdigkeit gefordert. Der Exbundestagsabgeordnete Peter Conradi nannte es angesichts der Krise nicht nachvollziehbar, dass sich der Großteil des alten Vorstands wieder zur Wahl stelle. Die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel forderte: «Die SPD muss wieder Partei der sozialen Gerechtigkeit sein». (ap)