Essen. Immer mehr Städte schaffen Parkplätze ab und verwandeln Autospuren in Radwege. Auch in NRW soll Verkehr nachhaltiger werden. Was das bedeutet.
Allen Nachhaltigkeitsversprechen und Klimaschutzvorgaben zum Trotz kann die Metropole Ruhr nicht vom Auto lassen. Fast fünf Millionen Menschen pendeln laut Daten des Statistischen Landesamtes in NRW täglich zur Arbeit, 70 Prozent davon immer noch mit dem eigenen Pkw - aus Bequemlichkeit oder mangels echter Alternativen. Gesucht werden Lösungen für die massiven Verkehrsprobleme im größten Ballungsraum Deutschlands. Doch Antworten darauf scheinen an Rhein und Ruhr ferner denn je.
Fünf Millionen pendeln, 70 Prozent mit dem eigenen Auto
Der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs oder der Radwege scheitert seit vielen an den leeren Kassen der Kommunen oder an einem Straßenverkehrsrecht, vor dessen komplizierten Vorgaben die Verkehrsplaner in den Städten kapitulieren. Die Gründe für den immerwährenden Stau liegen aber auch in einer Verkehrspolitik, die immer noch Autos privilegiert, sagt Mobilitätsforscher Thorsten Koska vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. So würde er den Umbau von autogerechten zu menschengerechten Städten anpacken.
Teuer, aber unverzichtbar: Der ÖPNV-Ausbau
Um Pendlerströme zu verändern, müsse man damit anfangen, den Öffentlichen Nahverkehr weiter auszubauen, sagt Koska. „Der Rhein-Ruhr-Express RRX ist ein Beispiel dafür, die Taktfrequenz auf den Hauptachsen des Ruhrgebiets zu steigern“. Dazu gehöre es, Zubringerrouten zu verbessern. Den Verkehr zu verlagern ist für Koska einer der wichtigen Hebel – und setzt auf die Politik: „Die NRW-Landesregierung hat angekündigt, den Takt bei S-Bahnen und Regionalzügen zu verbessern, Schnellbuslinienzu fördern und alte Bahnstrecken zu reaktivieren.“
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Es brauche ein Mehr an Busse, Bahnen und Strecken, doch das koste, sagt der Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik der Wuppertaler Denkfabrik. „Mir ist bewusst, dass die verantwortlichen Planer in verschuldeten Kommunen mit den Schultern zucken und fragen, mit welchem Geld das denn gemacht werden soll. Städte können aber auch selbst Mittel für die Verkehrswende einnehmen – zum Beispiel durch Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung und höhere Gebühren für Anwohnerparken. Daneben müssen Kommunen müssen Druck auf Bund und Land machen, Mittel bereitzustellen.“
Was die Verkehrswende ausbremst
Beim Ausbau des ÖPNV sind es das fehlende Geld und die langen Planungszeiten, die eine Wende erschweren, so Koska. Beim Bau neuer Radwege in dicht bebauten Städten indes sei es neben weiteren zeitraubenden bürokratischen Prozessen vor allem die Straßenverkehrsordnung, die dem nichtmotorisierten Verkehr Pflichten auferlegt und Projekte verzögert. „Wir sehen das beim Radschnellweg RS1 durchs Ruhrgebiet, vom dem nach vielen Jahren erst wenige Teilstücke fertig gestellt sind“, sagt Koska. Sein Ansatz: „Wir brauchen ein einfacheres Straßenverkehrsrecht, um die Planung zu vereinfachen.“
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Neben dem Verlagern wird aus Sicht der Mobilitätsforscher vor allem eines immer wichtiger: das Vermeiden von Verkehr. „Wir müssen angesichts der Klimakrise umsteuern“, fordert Koska. „Der Anteil des Verkehrssektors am CO2-Ausstoß Deutschlands wird von Jahr zu Jahr größer. Während die Emissionen in anderen Bereichen sinken, bewegt sich beim Verkehr nicht viel.“
Eine Alternative für Berufspendler könnten für Koska Gemeinschaftsgebäude mit Coworking-Räumen sein. Dort mieten sich Menschen Arbeitsplätze, um in geteilten Räumen in unmittelbarer Nähe der Wohnquartiere oder auch fernab von urbanem Raum zu arbeiten. „Coworking kann zu einem Geschäftsmodell werden“, glaubt er.
Paris hat 70.000 Parkplätze abgebaut
Mehr und mehr Metropolen zwingen Autofahrende zum Umstieg. Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, hat die Zahl der öffentlichen Parkplätze in Stadt seit 2020 schrittweise um rund 70 Prozent reduziert, fast 70.000 Parkplätze fielen weg. Gleiches machte Kopenhagen und stellte zudem das Ampelsystem um: Als Richtwert für die grüne Welle zählt nun die Fahrradgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern.
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Während des Corona-Lockdowns war es Berlin, das als erste Stadt in Deutschland Autospuren zu Radwegen umwandelte. „Pop-up-Radwege“ nennen Verkehrsplaner diese provisorischen, schnell eingerichteten Infrastrukturen. „Wir brauchen ein einfacheres Straßenverkehrsrecht, um die Planung zu vereinfachen“, folgert Koska. „Städte wie Berlin machen aber zugleich vor, wie man auch mit der bestehenden Rechtslage bessere Radinfrastruktur bauen kann es geht.
In Berlin dürfen Räder bald kostenlos auf Parkplätzen stehen
Der Platz in städtischen Ballungsräumen sei zu kostbar, um ihn statt dringend benötigter Grünflächen vorwiegend für das Abstellen von Autos zu nutzen, sagt Koska. Bei der nachhaltigen Verkehrswende gehe es im Grunde um ein Neuaushandeln um eine gerechtere Aufteilung von Mobilitätschancen. „Wenn Autos im öffentlichen Straßenraum quasi kostenlos abgestellt werden dürfen, führt das zu einem Ungleichgewicht der Verkehrsmittel“, sagt er. Wenn man aber in den dicht besiedelten Gegenden Parkplätze herausnimmt und gestaffelt etwa nach Einkommen und nach Fahrzeuggröße höhere Bewohnerparkgebühren einführt, gleichzeitig auch den ÖPNV verbessert, kann man dieses Ungleichgewicht ändern.“
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Eingriffe wie diese sorgen vor allem in den Revierstädten, wo die Parkraumnot in den Wohnquartieren seit Jahren zunimmt, für hitzige Debatten. In vielen Stadträten wird derzeit diskutiert, die Gebühren für das Anwohnerparken deutlich anzuheben. Die Hauptstadt indes setzt die Beschlüsse nun um: Ab dem 1. Januar 2023 dürfen in Berlin Fahrräder und E-Roller kostenlos auf öffentlichen Parkplätzen stehen. Gleichzeitig steigen in der Stadt erstmals seit 20 Jahren die Parkgebühren.
Parkhäuser in Wohnquartieren, Platz für Sharing-Systeme
Parkhäuser nahe den Wohnquartieren sollen künftig die ausgesperrten Autos aufnehmen. In Haltern etwa hat der Druck, Fahrzeuge platzsparender unterzubringen, eine besondere Idee hervorgebracht: Ein Unternehmen testet den „E-Parktower“: eine Hochgarage aus Glas und Stahl, die 16 Parkplätzen übereinander bietet, auf einer Grundfläche von nur 60 Quadratmetern.
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Mobilitätsforscher wie Koska glauben, dass Maßnahmen wie diese dazu beitragen, die Städte lebendig zu halten: „Wir brauchen die freiwerdenden Plätze auch als Ladezonen für den zunehmenden Lieferverkehr, als Abstellflächen für E-Scootern oder aber für Kurzparkplätze der Anwohner, um Einkäufe auszuladen.“