Essen. Viel Freude hat uns das Jahr nicht gebracht. Da ist ein fröhlicher Abschluss umso wichtiger – wenn da nicht die ewigen Spielverderber wären.
Nein, ich werde auch in diesem Jahr keine Chinaböller, Kanonenschläge oder Feuerwerksbatterie kaufen. Die Kinder erfreuen sich (noch) an Knallerbsen, Wunderkerzen und Partyartikeln. Und um 24 Uhr schauen wir dann alle gemeinsam in den bunt erleuchteten Neujahrshimmel und staunen über das funkelnde Spektakel, das unsere eifrigen Nachbarn mutmaßlich wieder veranstalten werden, wenn sie eine Rakete nach der anderen abfeuern.
Es ist gut, dass das nach zwei Jahren Böllerverbot wieder geht. Ich begrüße fast alles, was sich in diesen Zeiten nach Normalität anfühlt. Umso mehr irritiert mich die Verbissenheit jener Moralprediger, die uns auch diese traditionelle Freude unbedingt vermiesen wollen, auch wenn sie – ja, das muss man zugeben! – gute Argumente anführen.
Mehr als 2000 Tonnen Feinstaub
Zu den stärksten Argumenten gegen Silvesterböller aller Art gehören die Umweltaspekte. Böller sind laut; viele kleine Kinder und Tiere leiden unter der Knallerei. Hinzu kommt die erhebliche Belastung durch Plastikmüll und Feinstaub. Dem Umweltbundesamt zufolge werden durch das Abbrennen von Feuerwerk mehr als 2000 Tonnen Feinstaub pro Jahr in Deutschland verteilt; das entspricht knapp einem Prozent der hierzulande in einem ganzen Jahr freigesetzten Feinstaubmenge.
Ein weiteres Argument ist das Verletzungsrisiko. Dass unsachgemäße Handhabung nicht selten ins Auge geht, lässt sich beispielsweise an der Tatsache ablesen, dass in einer normalen Silvesternacht bundesweit rund 500 Augenverletzungen zu erwarten sind, wie die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft vorrechnet. Die Krankenhäuser sind derzeit schon genug belastet. Im Hinblick auf das individuelle Risiko ist allerdings auch festzuhalten, dass viele Vergnügungen mit gesundheitlichen Risiken einhergehen. Wollte man alles verbieten, wobei sich Menschen verletzen können, wäre dies eine freudlose Welt in Unfreiheit.
Brot statt Böller?
Das meines Erachtens schlechteste Argument gegen Silvesterböller ist der Hinweis auf das Elend in der Welt. Der altbekannte Slogan „Brot statt Böller“ soll uns ein schlechtes Gewissen machen und den Spaß so grundsätzlich verleiden. Natürlich kann man es pervers finden, dass die Deutschen 2019 rund 122 Millionen Euro für Licht- und Knalleffekte verpulvert haben. Aber reduziert es den Hunger in der Welt, wenn wir nicht mehr feiern?
Wofür geben wir noch „sinnlos“ Geld aus? Wie wäre es mit „Brot statt Alkohol“? Oder „Brot statt Weihnachtsbäume“? Tatsache ist doch, dass die Deutschen gerade in diesem Jahr für gute Zwecke gespendet haben wie noch nie. Bei der diesjährigen Weihnachtsspendenaktion von WAZ und Kindernothilfe etwa kamen mehr als 450.000 Euro bis Heiligabend zusammen. Was für ein stolzer Rekord!
Raketen über der Ukraine
Und dann ist da ja auch noch der Krieg in Europa. Ist es pietätlos, wie manche meinen, Silvesterraketen in den Himmel zu feuern, während Putins Bomben die Ukraine in einen kalten und dunklen Winter schicken? Auch hier gilt: Putins brutaler Krieg wird nicht dadurch humaner, dass wir auf Spaß und Freude verzichten. Das beste Mittel gegen die drohende Kriegsmüdigkeit bei uns sind gute Momente, die unsere emotionale Widerstandskraft stärken. Und genau die brauchen wir alle doch nach den Coronajahren und den aktuell drückenden Bedrohungen. 2022 war ein furchtbares Jahr. Da sollte wenigstens der Schlusspunkt ein fröhlicher, ein lebensbejahender sein.
Mit anderen Worten: Böllert Euch den Frust von der Seele, wenn Ihr böllern wollt, und zwar ohne schlechtes Gewissen! Und lasst es eben sein, wenn Ihr für Euch entschieden habt, aufs Böllern zu verzichten! „Jahreswechsel geht auch ohne Feuerwerk“, appelliert der NRW-Städtetag, denn dies bedeute weniger Lärm, weniger Staub, weniger Unfälle. Doch den Verzicht vorschreiben wolle man bewusst nicht, betont der Verband. Ich finde das prima. Eigenverantwortung ist das Stichwort. Es geht um Maß und Mitte. Und es geht um eine schöne Tradition. Bereits die Germanen wollten mit Licht und Lärm die bösen Geister vertreiben und das neue Jahr mit Zuversicht begrüßen. Was brauchen wir mehr als Zuversicht?
Vergleich mit Hexenverbrennungen
Mit Maß und Mitte nicht viel am Hut hat derweil Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe. „Die Hexenverbrennung fand man ja auch mal gut, und die war auch eine Tradition“, sagte er jetzt ernsthaft im Hinblick auf die Silvesterbräuche. Lieber Herr Resch, schauen Sie mal: Hier sind sie, Ihre Tassen, und dort steht er, der leere Schrank. Merken Sie etwas?
Wie wäre es damit, liebe Schwarz-Weiß-Freunde, mal über Kompromisse nachzudenken? Beispielsweise könnte man die Zulässigkeit von Böllern, die nur Krach machen, die also mehr Angst und Schrecken als Spaß und Freude bereiten, einschränken. Die Kommunen könnten dazu übergehen, regelmäßig zu Silvester ein zentrales, kontrolliertes Groß-Feuerwerk abzubrennen, das das private Zündeln zu einem großen Teil überflüssig machen würde. Manche Städte zeigen auch, dass Laser- und Drohnenshows eine umweltfreundliche Alternative zum klassischen Feuerwerk darstellen. Statt Traditionen radikal abzuschaffen könnte sich die Silvestertradition schrittweise weiterentwickeln.
85 Prozent freuen sich aufs Feuerwerk
Für unabdingbar hält einer Umfrage von „Statista Global Consumer Survey“ zufolge nur jeder vierte Befragte das Böllern zum Jahreswechsel. Aber was ist schon „unabdingbar“? Stellt man die Frage anders, erhält man ein anderes Ergebnis – wie so oft bei Umfragen. Der Verband der pyrotechnischen Industrie etwa weist mit Vergnügen auf eine Umfrage im Auftrag von „SternTV“ hin. Demnach freuen sich satte 85 Prozent der Befragten auf ein Silvester mit Feuerwerk.
Ich bekenne, zu diesen 85 Prozent zu gehören. Ich bekenne mich allerdings auch dazu, dass Regeln eingehalten werden müssen. Dass man von heute an Böller kaufen kann, heißt nicht, dass man sie auch sofort abfeuern darf. Das ist nur an Silvester und Neujahr erlaubt. Nicht jeder hält sich daran. Ganz selbstverständlich sollte auch sein, dass man von im Internet angebotenen illegalen Böllern die Finger lassen sollte, und zwar auch und gerade im Wortsinne, wenn einem die Finger lieb und teuer sind. Selbstverständlich sollte auch sein, dass bestimmte Böller von Kindern fernzuhalten sind. Verbotszonen, etwa vor Krankenhäusern und Seniorenheimen oder auch in Dortmund vor dem Hauptbahnhof und in der Innenstadt, sind unbedingt zu beachten.
Einsatzkräften Respekt zollen
Besonders asozial ist es, mit Böllern nach Einsatzkräften zu werfen, wie es jedes Jahr wieder zu beobachten ist. Dass sich etwa der Sprecher der Feuerwehr Mülheim, Florian Lappe, genötigt sieht, die Bürger dazu aufzurufen, Feuerwehr und Polizei mit Respekt zu begegnen, ist ziemlich traurig. Wer sich daran nicht hält, hat nicht nur nicht alle Tassen im Schrank, sondern ist ein Krimineller, der hart zu bestrafen ist.
Übrigens kann man Silvesterböller nicht überall kaufen. Die Drogeriekette Rossmann etwa hat Feuerwerk aus dem Programm genommen - ebenso wie einige Baumärkte. Ein Rewe-Markt in Mülheim hat auf Facebook angekündigt, weiterhin auf den Verkauf von Pyrotechnik zu verzichten, und erntet dafür viel Lob von den Usern. Andererseits gibt es viele Anzeichen dafür, dass man es im Ruhrgebiet mal wieder so richtig krachen lassen will. Einen großen Ansturm etwa erwartet der Feuerwerksverkauf in der Essener Eishalle. Eigenen Angaben zufolge sind bereits 20 Prozent des Sortiments durch den Online-Vorverkauf veräußert worden. Die Kunden müssten die reservierte Ware nur noch abholen.
Frohes neues Jahr!
Leben und leben lassen – das könnte ein gutes Motto für 2023 sein. Ich wünsche Ihnen und uns allen ein sehr viel besseres neues Jahr. Kommen Sie gut rein!
Auf bald.