Essen. Gute Leistungen bringen bis zum Umfallen? Nein, danke! Die junge Generation will weniger arbeiten und mehr leben. Das ist nur scheinbar blöd.
Ja, sie habe da in der Tat noch einige Fragen an mich, sagte die junge Frau, die sich auf eine unserer Volontariatsstellen bei der WAZ bewarb. Das Gespräch war bis dahin gut gelaufen, sehr gut sogar. Schon die Bewerbungsunterlagen waren vielversprechend gewesen: überdurchschnittlich gute Zeugnisse, vielversprechende Arbeitsproben, dazu ein ansprechendes, kreatives Anschreiben. Und jetzt zeigte sich die potenziell angehende Kollegin im Gespräch auch noch gut informiert, vielseitig interessiert, schlagfertig, sympathisch. Ich blickte die Personalerin an, mit der ich die Gespräche meist gemeinsam führe. Wir nickten uns still zu. Ein Volltreffer, ganz klar.
Ich fing an zu schwitzen
„Haben Sie noch Fragen an uns?“, versuchte ich, sehr zufrieden mit mir und der Welt, das Ende des Bewerbungsgesprächs einzuleiten. Man macht das so zum Schluss. Doch von einem Schluss konnte keine Rede sein. Plötzlich legte die Bewerberin eine lange Fragenliste auf den Tisch. Im Kern wollte sie wissen, was wir denn so zu bieten hätten, warum sie nun ausgerechnet bei uns volontieren solle? Sie formulierte ihre Fragen höflich, formal zurückhaltend, aber sehr bestimmt. Ich bemerkte schnell die ersten Schweißtropfen auf meiner Stirn. Die Rollen – sie hatten sich vertauscht. Jetzt war ich der Bewerber. Ich war es, der sich anstrengen musste, eine offensichtliche Top-Kraft zu gewinnen, die es sich aussuchen kann, welchen Ausbildungsjob sie annimmt, ob sie zu uns kommt oder nicht.
Immerhin konnten wir sie von uns überzeugen. Das FUNKE-Volontariat bei der WAZ hat eine Menge zu bieten: eine umfassende digitaljournalistische Ausbildung bei besten Anstellungsaussichten im Anschluss. Aber das Erlebnis hat mich demütiger gemacht. Es hat gezeigt: Wer dieser Generation nicht auf Augenhöhe begegnet, kann es auch gleich sein lassen. Die bewerben sich bei uns, und wir bewerben uns bei denen.
Und dann sagte sie „Du“
Ich mag das Selbstbewusstsein der jungen Leute, der Post-Millennials, die irgendwann nach 1995 geboren sind und die man gemeinhin, der Generation Y nachfolgend, die Generation Z nennt (sie reicht etwa bis zum Geburtsjahrgang 2010). Dieses Selbstbewusstsein passt zu uns, passt zum Job von Journalistinnen und Journalisten mit Haltung und Rückgrat – wenn und soweit es nicht in Arroganz umschlägt, wie ich es vor ein paar Tagen erlebt habe, als die Bewerberin immer forscher, immer kecker wurde, bis sie schließlich ungefragt zum lockerflockigen „Du“ überging. Als die Personalerin und ich daraufhin immer förmlicher wurden und das „Sie“ demonstrativ betonten, traf mich ein Blick, der wohl sagen sollte: Geh sterben, Opa!
War ich es vielleicht, der falsch lag mit seinem „Sie“? Sollte es doch nicht reichen, im Laufe der vergangenen Jahre die Krawatte abgelegt und die Anzughose durch eine Jeans eingetauscht zu haben? Musste ich mich, inzwischen in Ehren ergraut, noch lockerer machen mit meinen jetzt 50 Jahren? Mit anderen Worten: Hatte die junge Dame, die meine Tochter sein könnte, nicht mehr alle Tassen im Schrank – oder ich? Ich weiß gar nicht, ob ich darauf eine Antwort bekommen möchte ...
Fachkräftemangel spielt ihnen in die Karten
Nüchtern betrachtet, lässt sich das ausgeprägte Selbstbewusstsein der Gen-Z-ler vor allem zurückführen auf die Rahmenbedingungen, unter denen sie aufgewachsen sind oder noch aufwachsen. Eine zumindest vor Corona und dem Krieg ständig wachsende Wirtschaft auf der einen und die niedrige Geburtenrate auf der anderen Seite führte in fast allen Branchen zu einem ausgeprägten Fachkräftemangel, nicht nur im Journalismus. Schon deswegen sind die Zeiten vorbei, wo sich qualifizierte Bewerber wie Bittsteller aufführen müssen, und das ist auch gut so.
Das ist Klartext
Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.
Weniger gut ist, dass manche Angehörige dieser Generation meinen, sie müssten in Schule und Ausbildung vielleicht nicht mehr so viel leisten wie früher. Wo einst Bestnoten gefragt waren, kommt man heute mit einem guten Durchschnitt locker durch. Aber reicht das, um in dieser Welt zu bestehen? Reicht das aus, um die vielfältigen, in der Summe überwältigenden Probleme zu lösen, die die Gesellschaften überall auf der Welt lösen müssen? Die Generation Z wird vermutlich auch dann noch in dann verantwortlichen Positionen mit Pandemien, dem neu aufgebrochenen Ost-West-Konflikt und nicht zuletzt mit der Klima-Katastrophe zu kämpfen haben, wenn unsereins dem unausgesprochenen Geh-sterben-Rat längst gefolgt ist. Das erfordert Top-Leistungen. Aber das ist es nicht allein.
Ohne Resilienz überlebt das keiner
Mindestens so wichtig ist eine hohe psychische Widerstandskraft, neudeutsch Resilienz genannt. Dass die Angehörigen der Generation Z in allen Umfragen, aber auch in unseren Bewerbungsgesprächen, immer wieder sagen, dass sie auf eine gute Work-Life-Balance Wert legen, dass ihnen ein gutes, glückliches Privatleben wichtiger ist als beruflicher Erfolg, zeigt, dass sich einige Maßstäbe grundsätzlich verschoben haben. Vielleicht schließen sich Resilienz und der Leistungsdruck alter Schule, den wir Ehrgeizigen uns ja vor allem selbst gemacht haben, gegenseitig aus? Vielleicht haben die Gen-Z-ler ja schlau erkannt, dass sich Krisen wie die, die wir derzeit er- und durchleben müssen, am Rande des Burnouts nicht gut, nicht nachhaltig bewältigen lassen.
Wie viele Tage Urlaub habe ich? Kann ich Überstunden ausgleichen? Wäre es möglich, langfristig in Teilzeit zu arbeiten, auch wenn ich keine Kinder habe? Ich hätte mich nicht getraut, solche Fragen in einem Bewerbungsgespräch zu stellen. Aber wenn ich tief in mich hineinhorche, dann weicht das Gefühl spontaner Empörung zunehmend einer Mischung aus Neid und Bewunderung. Es ist, vorsichtig formuliert, nicht auszuschließen, dass die Generation Z alles richtig macht.
Wie lange gibt es die Erde noch?
Aber Neid ist natürlich grundsätzlich – und hier insbesondere – fehl am Platz. Eine junge Kollegin, selbst eine Gen-Z-lerin, schrieb neulich in einem Kommentar für ein Nachrichtenmagazin, sie wolle jetzt glücklich sein, bevor es zu spät ist. Erst habe Corona ihr Leben massiv verändert, dann der Angriffskrieg Russlands. Schließlich stelle sich die Frage, „ob die Erde überhaupt noch existiert, wenn wir alt sind“. Da musste ich schon schlucken. Hinzu komme, dass sie den Lebensstandard der Eltern „so oder so nicht erreichen“ werde. Auch da ist leider etwas dran. Nach Corona und dem Krieg werden wir alle ein Stück ärmer sein. Die nachfolgenden Generationen trifft das härter als uns.
Ich werde mir das mit dem „Du“ noch mal überlegen.
Auf bald.