Essen. 83 Kaufhäuser und Tausende Beschäftigte können weitermachen. Das ist eine gute Nachricht. Doch Benko hat das Insolvenzrecht oft genug ausgenutzt.
Und weg sind die Schulden: Zweimal binnen gut zwei Jahren hat sich Galeria zehnstelliger Forderungen entledigt. Möglich macht dies das deutsche Insolvenzrecht, das der österreichische Immobilienmogul René Benko offenbar liebgewonnen hat. Den Beschäftigten, die weiter für Karstadt oder Kaufhof arbeiten können, ist zu wünschen, dass sie nicht in wenigen Jahren die nächste Runde im Insolvenzkarussell drehen müssen. Ebenso denen, die Galeria trotz zweimaligen Schuldenschnitts weiter beliefern.
Dass Chefsanierer Arndt Geiwitz den letzten großen Warenhauskonzern nun gut aufgestellt sieht, um dauerhaft auf die Füße zu kommen, gehört zu seinem Job. Ohne dies glaubhaft zu machen, hätte das Amtsgericht Essen das neuerliche Schutzschirmverfahren gar nicht erst erlauben dürfen. Und es dürfte es auch nicht für beendet erklären. Insofern hat er seinen Auftrag erfüllt. Den Auftrag von René Benko, ein zweites Mal binnen kürzester Zeit die hohen Verluste seiner deutschen Tochter auf die Gläubiger abzuwälzen. Und den Auftrag Benkos, im Zuge dessen schneller und günstiger erneut Tausende Beschäftigten rauswerfen zu können. Herzlichen Glückwunsch.
Keine erkennbaren Fortschritte seit der letzten Insolvenz
Weil die Parallelen derart frappierend sind, weil Galeria sich erneut auf Kosten anderer, auch der Steuerzahler sanieren kann, ohne in den vergangenen zweieinhalb Jahren auch nur einen erkennbaren existenziellen Fortschritt gemacht zu haben, muss dieses Vorgehen genau und kritisch analysiert werden.
Auch interessant
Das deutsche Insolvenzrecht ist in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach modernisiert worden – stets mit dem Ziel, dass nicht mehr die Abwicklung eines Unternehmens im Vordergrund stehen möge, sondern seine Rettung. Das war, ist und bleibt richtig, weil dadurch etliche Arbeitsplätze gerettet wurden, viele dauerhaft. Zur Insolvenz in Eigenregie ist 2012 als besonders schonende Variante das Schutzschirmverfahren hinzugekommen. Es ist für Unternehmen gemacht, die nur drohen, zahlungsunfähig zu werden, es aber noch nicht sind, und gleichzeitig gute Überlebenschancen bescheinigt bekommen. Als Besonderheit dürfen hier die Insolvenzexperten selbst gewählt werden, bei Galeria hat Benko zweimal seine Vertrauten Arndt Geiwitz und Frank Kebekus eingesetzt. Dass die sich der Brisanz ihres neuerlichen Einsatzes bewusst sind, klingt aus ihrer Mahnung durch, nun seien Management und Eigentümer gleichermaßen gefragt. Es besser zu machen als beim letzten Mal, möchte man anfügen.
Wie oft und in welchen Abständen sich ein Unternehmen unter diesen Schutzschirm retten darf, ist nicht geregelt. Doch vielleicht sollte der Gesetzgeber das tun. Denn bei Galeria kann der Verdacht aufkommen, dass Benko das deutsche Insolvenzrecht ausnutzt, um Löhne, Steuern und Sozialabgaben zu sparen sowie Schulden loszuwerden. Ein Händler, der langfristig überleben will, würde eine zweite Insolvenz in so kurzer Zeit wenn irgend möglich zu vermeiden suchen, um nicht zu viel Vertrauen bei Kunden und Geschäftspartnern zu verspielen. Benko aber ließ im vergangenen Herbst die Verhandlungen mit dem Staat über neue Kredite abbrechen und Geiwitz erneut seinen Job machen.
Der Vorteil ist vor allem geldwerter Natur: Erneut zahlte die Bundesagentur für Arbeit drei Monate lang die Löhne, sparte Galeria Steuern und Sozialabgaben, durfte fällige Rechnungen liegen lassen, konnte den nächsten Schuldenschnitt erzwingen und darf Beschäftigten nach drei Monaten kündigen – egal, wie lange sie für Karstadt oder Kaufhof gearbeitet haben. Ob der Milliardär Benko das wirklich nötig hatte, kann nur er selbst beantworten.
Staat muss seine Rolle in dieser Insolvenz hinterfragen
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Vorwerk-Chef: Meine Frau wollte auch keinen Thermomix haben
- Biermarkt: Darum verkauft Stauder schweren Herzens wieder Dosenbier
- Sorgen bei Thyssenkrupp: „Stahlindustrie kämpft um Existenz“
- Galeria-Doppelschlag gegen Essen: Warenhaus und Zentrale weg
- Menschen in Not: So reagieren Einzelhändler auf Bettler vor ihrer Ladentür
Der deutsche Staat als größter Gläubiger verliert Hunderte Millionen Euro, die seine Steuerzahler hart erarbeitet haben. Er steht nicht nur deshalb in der Pflicht, seine Rolle und seine Gesetze nach dieser Insolvenz gewissenhaft zu hinterfragen. Der Schutzschirm hat Benko diese Möglichkeit gegeben, doch gedacht ist er dafür, Unternehmen möglichst sanft und geräuschlos durch eine kritische Phase zu bringen, auf dass sie schnell und nachhaltig auf die Beine kommt. Zu glauben, dass dies für Benko im Vordergrund stand, fällt sehr schwer.