Essen. Die Enthüllungen von Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen lässt den Ruf nach einer Regulierung lauter werden. Doch braucht es die wirklich?
Pro: Inhalte sollen nützlich sein, nicht radikalisieren
Spätestens seit Donald Trump sollte allen klar sein, welche Gefahr von nahezu unregulierten sozialen Netzwerken ausgehen kann. Als Facebook und Twitter den Ex-US-Präsidenten Anfang des Jahres von ihren Plattformen verbannten, war es längst zu spät. Die über Jahre vom Ex-US-Präsidenten betriebene Demontage seriöser Medien, seine teils verfassungs- und menschenverachtenden Hass-Posts und Falschinformationen hatten bereits zu viele Anhänger gefunden, nicht nur in den Vereinigten Staaten. Einige von ihnen so radikal, dass sie – realitätsverweigernd wie Trump- das Herz der amerikanischen Demokratie erstürmten.
Ohne Facebook (und Twitter) wäre all das vielleicht nicht passiert: Waren es schließlich Millionen Datensätze dieser Unternehmen, die Trump wesentlich mit zur Macht verhalfen. Dank der erkauften Wählerprofile des Datenanalyse-Unternehmens Cambridge Analytica wussten Trumps Truppen genau, wen sie für sich gewinnen, wen gezielt mit Falschinformation verunsichern können. Spätestens dieser Skandal hätte die Welt aufrütteln müssen. Fake News sind längst probates Wahlkampfmittel, überall.
Europäische Union muss sich bei Tech-Riesen durchsetzen
Aber: Selbst die EU schafft es nicht, die strenge Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bei dem Tech-Riesen aus dem Silicon Valley durchzusetzen. So verwies das Portal Netzpolitik jüngst auf einen neuen Bericht der irischen Grundrechteorganisation ICCL, wonach rund 98 Prozent der Datenschutzbeschwerden gegen Facebook, TikTok, Twitter und Google in der EU unbearbeitet sind. Die durchsetzende Behörde hat ihre Adresse ebenso wie die EU-Sitze der Unternehmen in Irland. Na, wenn das kein Zufall ist.
Insofern ist der Ruf vieler EU-Politikerinnen und EU-Politiker nach strengeren Regeln für Facebook mehr als berechtigt – er kommt nur reichlich spät und muss auch durchgesetzt werden. Personalisierte Werbung und illegale Inhalte sollen künftig stärker reguliert werden, so sehen es zwei Gesetzesentwürfe vor. Vorausgesetzt, die EU lässt sich nicht weiter von den Heerscharen an Lobbyisten aufhalten, die die Techkonzerne mittlerweile in größerer Zahl nach Brüssel schicken als die Pharma- oder Autoindustrie.
Für weniger Hatespeech braucht es mehr Medienkompetenz
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Es kann nicht länger sein, dass magersuchtgefährdeten Teenagern auf Grundlage ihrer Suchverläufe durch eine wahre Bilder- und Werbeflut noch mehr in eine Spirale der Selbstzweifel geraten. Dass aus Corona-Verunsicherten dank riesiger Trollarmeen (nicht nur auf Facebook) Corona-Leugner gemacht werden. Facebook produziert durch Algorithmen persönliche Filterblasen, aus denen es kaum ein Entrinnen gibt. Werbung oder Inhalte zu sehen, die persönliche Interessen befrieden, soll nützlich sein – und nicht radikalisieren. In diese Wunde müssen die EU-Datenschützer den Finger legen. Gleichzeitig das hohe Gut der Meinungsfreiheit und Debatte auch digital zu wahren, dürfte ein schwieriger Balanceakt werden.
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Hatespeech jedoch werden all diese Bemühungen kaum verhindern, weder auf Facebook noch anderswo. Dazu braucht es mehr Medienkompetenz, die nicht nur an den Schulen vermittelt werden muss, sondern in jedem Alter. Facebook muss noch stärker in die Pflicht genommen werden, Hetzseiten zu bannen. Und es braucht nicht nur eine Debatte über eine Regulierung sondern auch über den Umgang im Netz. Schrieben doch alle unter Diskussionsbeiträge einfach das, was sie ihrem Gegenüber in einer echten Debatte auch ins Gesicht gesagt hätten! Es würde sicherlich weniger geschrien als vermutet.
Contra: Eine Demokratie muss das wegstecken können
Nun sind sie wieder da, die Warnungen von Politik und besorgten Bürgern. Mit Worten wie „Hassschleuder“ oder „Datenkrake“ betiteln sie Facebook, es folgen Aufforderungen nach „mehr Kontrolle“.
Warum? Facebook ist kein Zwang. Und wenn ich es nutze, entscheide ich, wie ich es nutze. Ich bin seit sieben Jahren dabei. Noch nie hat mich jemand angepöbelt oder gar bedroht. Und der einzige, den ich je geblockt habe, war ein ehemaliger Klassenkamerad, der Fotos von jedem Wochenendausflug postete. Klar lebe ich bei Facebook in einer Blase. Jeder hat eine. Ich schreibe Menschen, die ich lange kenne. Und die glauben - wie ich auch - dass die Erde rund ist, können sich nicht vorstellen, dass Bill Gates ihnen einen Mikrochip einpflanzen will und halten Corona nicht für eine Grippe. Zu anderen suche ich keinen Kontakt, ich gehe ja auch nicht in eine Kneipe, die mir nicht gefällt.
Welche Daten das Netzwerk bekommt, habe ich in der Hand
Im Grunde ist die Sache doch ganz einfach. Bei Facebook pflege ich Kontakte, gratuliere ich zum Geburtstag, bekomme Informationen. Ich weiß, dass das Netzwerk dafür Daten von mir bekommt, wie viele das sind, liegt aber weitgehend in meiner Hand. Davon ab, ist Facebook ein Spiegel der Gesellschaft. Deshalb sind hier nicht nur die Verirrten und Verwirrten des 21. Jahrhunderts unterwegs, sondern auch – und klar in der Mehrheit – ganz normale Menschen. Um die einen von den anderen zu unterscheiden, bedarf es meist nur ein wenig Medienkompetenz, was eigentlich nichts anderes ist, als gesunder Menschenverstand. Den kann man nicht per Gesetz anordnen, den muss man – wie gutes Benehmen – von zu Hause mitbekommen.
Wer fordert, Facebook stärker zu regulieren, der hat das Prinzip des grenzenlosen Internets nicht begriffen. Was in Deutschland unter Volksverhetzung fällt, halten andere Länder für „Meinungsfreiheit“. Das macht jede Regulierung zumindest schwierig und den Grat zwischen Kontrolle und Zensur sehr schmal. Davon ab bieten die sozialen Netzwerke ja auch Chancen. Das beginnt mit Lappalien wie der Frage nach einem Tipp über die schönste Hochzeitslokalität, geht über Unterstützung bei der Suche nach einem vermissten Haustier und kann bei Katastrophen Leben retten.
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Dass Andersdenkende dort ihre kruden Ideen und Hass verbreiten, muss eine Demokratie wegstecken können. Zumal Facebook nur die Plattform ist, wenn auch eine mit knallharten wirtschaftlichen Interessen. Das Problem sind die Menschen, die dort im Schutz der Anonymität jeglichen Anstand verlieren. Idioten gibt es überall, in sozialen Netzwerken kann man sie immerhin wegklicken.