Witten. Die US-Amerikaner haben gewählt. Zwei Studenten aus Witten waren die letzten Wochen als Wahlkampfhelfer vor Ort. So haben sie den Wahltag erlebt.
„Ich war kurz spazieren. Wir wohnen in einem demokratisch geprägten Gebiet. Überall sieht man Menschen mit traurigen Gesichtern, zwischen Schock und Fassungslosigkeit darüber, dass Trump tatsächlich gewonnen hat“, erzählt Victor Wolff (23) am Tag nach der US-Wahl. Gemeinsam mit Simon Shaw (23) war er spontan in die USA gereist, um den Demokraten um Kamala Harris beim Wahlkampf zu unterstützen.
Bis zuletzt waren die beiden Studenten der Universität Witten/Herdecke optimistisch und sahen die erste Frau bereits als Präsidentin der USA. Doch schon am Morgen nach dem Wahltag, dem 5. November, färbte sich die Wahlkarte bekanntlich zunehmend rot – die Farbe der Republikaner. Spätestens seit Mittwochnachmittag war es klar: Donald Trump hat die nötige Schwelle von 270 Wahlleuten überschritten und die Präsidentschaftswahl gewonnen. War ihre Reise vergebens? Keineswegs, sagen die beiden.
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Wittener Studenten: Wahlkampf im Swing State Pennsylvania
Die beiden Studenten, die in Witten Politik, Philosophie sowie Wirtschaft und Management studieren, waren vier Wochen im US-Bundesstaat Pennsylvania aktiv. Sie trafen den „Second Gentleman“ Doug Emhoff, gemeint ist der Ehemann von Vizepräsidentin Harris, sahen Donald Trump bei einem seiner Auftritte, schrieben Postkarten, gingen von Tür zu Tür und stellten Plakate auf, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.
„Das ist die vielleicht wichtigste Wahl in unserer Generation.“
„Das ist die vielleicht wichtigste Wahl in unserer Generation“, sagte Victor Wolff vor dem Wahltag, denn die Auswirkungen der Wahl würden auch sie betreffen. „Der Klimawandel, die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine, der Schutz der Rechtsstaatlichkeit - all das hängt direkt mit dem Ausgang der Wahl zusammen“, so Wolff. Nach dem Sieg Trumps seien die Sorgen realer. Gleichzeitig schöpfen sie aber auch wieder Hoffnung. „Das ist ein Weckruf für Deutschland und ein starkes Europa“, sagt Simon. Europa müsse nun näher zusammenrücken.
Zur geplanten Wahlparty von Kamala Harris gingen sie, als die Wahllokale schon geschlossen waren. Essen und Getränke standen bereit – die Grundlage für eine Feier im Falle eines Sieges. Doch schnell zeichnete sich ein anderer Trend ab. „Als wir den Raum betraten, herrschte völliges Schweigen.“
Rund 40 Helferinnen und Helfer hofften darauf, dass die Vizepräsidentin noch aufholen könnte. „Um Mitternacht waren die Swing States entschieden und wir saßen nur noch zu viert im Raum“, sagen die beiden Studenten aus Deutschland. Trump erklärte sich zum Sieger, internationale Politiker gratulierten ihm, und Harris sagte ihre Rede ab. Es wurde immer wahrscheinlicher, dass der 45. Präsident der Vereinigten Staaten auch ihr 47. wird.
Trotz Niederlage: Wahlkampf war nicht umsonst
„Im Haustürwahlkampf“, erklärt Simon seine Überraschung über den Sieg von Trump, „hat man eine verzerrte Wahrnehmung, weil man nur noch registrierte Demokraten mobilisiert hat.“ Dass Trump mit so einem großen Abstand gewonnen hat, mussten sie trotzdem erst einmal verarbeiten. „Es fühlt sich wie ein politischer Kater an“, beschreibt Victor den Morgen danach. Dennoch seien sie froh über die schnelle Auszählung gewesen. „Wir hatten die Sorge, dass es zu Unruhen kommt, wenn Harris knapp gewinnt“, erklärt Simon.
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Als Wahlhelfer erlebten sie auch Erfolge. „Wir haben sogar einige Menschen überzeugt, für Harris und nicht für Trump zu stimmen.“ Oft ging es weniger um Inhalte als darum, zuzuhören. „In einer polarisierten Welt kommt das oft zu kurz“, sagt Simon. Ihre Botschaft lautet: „Glaubt nicht alles, was man euch erzählt, sondern bildet euch eine eigene Meinung, recherchiert selber.“ Das hat ihnen selbst Kraft gegeben. „Um im Wahlkampf durchzuhalten, muss man das Gefühl haben, dass man gewinnen kann.“
„Für uns endet hier bald die Zeit. Aber für die Leute vor Ort heißt es, weiter politisch aktiv zu bleiben.“
Dass sie als Freiwillige nur ein kleiner Hebel sind, sei ihnen von vornherein bewusst gewesen, betont Victor. Das Gefühl, versagt zu haben oder die Reise zu bereuen, kennen sie nicht. Für sie sei es auch ein Abenteuer gewesen. Simon sagt: „Wir haben getan, was wir konnten, und würden es wieder tun.“ Das Ergebnis zeige ihnen, wie wichtig es ist, politisch aktiv zu sein und sich auch mit Menschen außerhalb der eigenen Blase auseinanderzusetzen. „Für uns endet hier bald die Zeit. Aber für die Leute vor Ort heißt es, weiter politisch aktiv zu bleiben.“
Nach der US-Wahl: Wittener reisen nach Washington
Für die beiden Studenten aus Witten hat sich der Blick auf Politik verändert. „Wir haben gemerkt“, so Simon, „dass wir in Deutschland das schätzen können, was häufig im politischen Alltag unsichtbar ist und über Wärmepumpen hinausgeht.“ Die Gesellschaft sei anders strukturiert. Ihre Erkenntnis: „Wir leben in einer funktionierenden Gesellschaft mit Sozialsystem, in der Menschen füreinander da sind und der persönliche Erfolg oder Misserfolg nicht dem Einzelnen zugeschrieben wird. Das ist etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.“
Victor Wolff und Simon Shaw werden noch anderthalb Wochen in den USA verbringen, Washington und New York besuchen und danach zurückfliegen. Dann beginnt für sie wieder der Alltag: mit Praktikum und Bachelorarbeit.
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