Witten. 33 Jahren führte Barbara Vahle den „Sweety Shop“ in Witten. Für ihre Selbstständigkeit opferte sie vieles. So gab’s nur zehn Tage Urlaub im Jahr.
Barbara Vahle sieht man ihre 66 Jahre nicht an. Auch nicht, dass sie bis vor Kurzem jeden Tag viele Stunden lang in ihrem eigenen Laden hinter der Theke stand – und das seit 36 Jahren. Nur zehn Urlaubstage im Jahr hat sich die Wittenerin in der ganzen Zeit gegönnt. Das verlange die Selbstständigkeit eben. Ende Juni hat sie nun ihren „Sweety Shop“ an der Ruhrstraße aufgegeben.
„Das können Sie doch nicht machen“, sagt ein älterer Herr zu Barbara Vahle bei unserem Treffen, als er erfährt, dass es das Geschäft für Pralinen, Tortendekoration und individuelle Schaumzucker-Figuren nicht mehr gibt. Diese Reaktion bekomme sie oft, erzählt die Geschäftsfrau im Ruhestand. Sie habe schon überlegt, noch ein, zwei Jahre weiterzumachen. „Aber man muss ja immer acht bis neun Stunden stehen. Und krank werden darf man auch nicht.“ Corona und der Ukraine-Krieg hatten zuvor auch die nötigen Bestellungen erschwert und verteuert.
Wittenerin wagte Start in die Selbstständigkeit mit Sonnenstudio
Den Schritt in die Selbstständigkeit wagte Vahle 1987 mit einem Sonnen- und Bewegungsstudio. Ursprünglich wollte die Wittenerin Lehrerin werden. Doch auf ein Referendariat musste man damals wegen der „Lehrerschwemme“ fünf Jahre lang warten. Also entschied sie sich für einen anderen Weg.
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„Rückblickend gesehen haben sich die Chancen einfach ergeben und ich habe sie nur ergriffen“, sagt die (frühere) Einzelhändlerin. So war es auch, als sie drei Jahre später zusätzlich den „Sweety Shop“ übernahm, der damals noch auf dem Rathausplatz neben Lehmkuhl seinen Platz hatte. Von einer Aushilfe ihres Sonnenstudios hatte sie erfahren, dass eine Nachfolge gesucht wurde.
Arbeitstage von zwölf bis dreizehn Stunden
Zwölf bis 13 Stunden täglich sei sie dann zwischen den beiden Geschäften hin und her „gesprungen“. „Aber ich bin auch verrückt“, sagt die 66-Jährige. Bis ihr Mann nach acht Jahren die Reißleine zog und seine Frau aufforderte, einen der beiden Läden aufzugeben. „Ich war ja nie zuhause“, erinnert sich Vahle. Sie blieb beim „Sweety Shop“, gab das Sonnenstudio ab.
Ihren Arbeitsethos hat Barbara Vahle von ihrem Vater übernommen. Der war selbstständiger Handelsvertreter für Möbel und ständig unterwegs. „Ich kannte es nicht anders.“ Und dass man gerade in so einem kleinen Laden anpacken können müsse. Heute würden viele junge Menschen ihre privaten Befindlichkeiten über die Arbeit stellen. Die sogenannte „Work-Life-Balance“ sei zu sehr Richtung Freizeit gekippt.
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Individuelle Figuren aus Mäusespeck
Vahle hat die meisten Stunden immer selbst im Laden gestanden. Denn Mitarbeiter kosten Geld. Abends und am Wochenende stand Büroarbeit an. „Du musst, du machst, du bist ständig wie in einer Mühle“, sagt sie. Aber es habe ihr einfach Spaß gemacht. „Das ist gar nicht zu bezahlen.“ Der Kontakt zu ihren Kunden, die immer eher Freunde gewesen seien, sei das Schönste gewesen. Viele seien auch einfach auf ein Schwätzchen oder einen Kaffee vorbeigekommen.
Im Sweety Shop fertigte Vahle vor allem individuelle Figuren aus Mäusespeck. Mit 33 Jahren stieg sie ins Süßigkeiten-Geschäft ein – ohne jegliche Vorerfahrung. „Die Kunden kamen und fragten nach den unmöglichsten Sachen. Und ich habe einfach gesagt: Das kann ich!“ Stück für Stück brachte sie sich dann selbst bei, Figuren aus Zuckerschaum zu kreieren. „Und das ganz ohne Internet.“ Vorlagen und Fotos besorgte sie sich jeweils über Freunde. Einmal formte sie auf Wunsch auch einige Wrestling-Kämpfer. Genau wegen solcher Spezialwünsche seien die Kunden dann auch oft wiedergekommen.
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Süßigkeiten-Geschäfte spürt Wegfall von Traditionen
Doch das Geschäft ist im Laufe der Jahre härter geworden. „Man sieht die gesellschaftliche Veränderung an so einem kleinen Laden.“ Früher seien etwa noch die feinen Damen gekommen, um eine Pralinenschachtel für den Canasta-Abend zu kaufen. Später erlebte sie die ein oder andere Kundin, die die beim Discounter gekaufte Schokolade kostenlos verpacken lassen wollte.
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Auch den Wegfall einiger Traditionen hat der Laden zu spüren bekommen. „Früher ging man nicht ohne Geschenk irgendwo hin oder man verschenkte auch nicht einfach Geld.“ Stets habe eine kleine süße Aufmerksamkeit dazugehört. An Silvester wurden früher massenhaft Schokoschweinchen und Schornsteinfeger verkauft. „Und was heute der Gruß per Whatsapp ist, waren früher eine Grußkarte und eine Kleinigkeit, die man in den Briefkasten warf.“
Nach so vielen arbeitsreichen Jahren kann die frühere Betreiberin des Sweety Shops nun aber auch im Ruhestand die Füße nicht stillhalten. Sie engagiert sich als Lese-Mentorin an der Crengeldanzschule und fängt im Oktober als Aushilfe bei „Wein und Tee Brenken“ an der Heilenstraße an. Sie hat nun auch mehr Zeit für ihr Hobby Wandern. Im Juli war sie sogar eine Woche mit Ehemann im Odenwald unterwegs. Und vielleicht gönnt sie sich ja auch mal mehr als zehn Urlaubstage.
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