Witten. Der EN-Kreis mit Witten ist für die SPD keine sichere Bank mehr. Nur so eben wurde das Direktmandat noch gewonnen. Der Tag nach der Landtagswahl.
Nein, Sarah Kramer von der CDU ist nach eigenen Worten „nicht traurig“, dass sie das Direktmandat bei der Landtagswahl am Sonntag nur knapp verpasst hat – was für die Union ein historischer Sieg im Wahlkreis 106 mit Witten und Herdecke und im gesamten Kreisgebiet gewesen wäre. „Im Gegenteil, ich bin stolz darauf, dass wir die 30-Prozent-Marke geknackt haben“ sagt die 29-Jährige, die sich selbst als „Newcomerin“ bezeichnet. Reaktionen am Tag danach. Am glücklichsten dürften neben der CDU die Grünen sein. SPD und FDP lecken derweil ihre Wunden.
Kramer hat viel Zuspruch erfahren aus der eigenen Partei, die sie bei künftigen Nominierungen wieder auf dem Schirm haben dürfte, aber auch von den Wählern, die sie durch starke Präsenz in der Öffentlichkeit offenbar von sich und ihren Themen überzeugen konnte, innere Sicherheit und Verkehr zum Beispiel. Fürs Land könnte sich die junge Vormholzerin Schwarz-Grün jetzt gut vorstellen. Sie selbst kehrt nach der Wahl in ihren Beruf als Polizistin zurück. „Heute ziehe ich wieder die Uniform an.“
Nadja Büteführ sitzt gerade im Zug nach Düsseldorf, als wir die in Witten mit zwei Punkten Vorsprung (32,4 Prozent) vor der CDU so eben noch mal wiedergewählte SPD-Landtagsabgeordnete erreichen. „Ich hätte nicht damit gerechnet, so zittern zu müssen“, sagt die Herdeckerin. Für sie und die SPD ist der EN-Kreis mit einst roten Hochburgen wie Witten längst keine sichere Bank mehr.
Mit den Genossinnen und Genossen hat die 55-Jährige das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen sich und Sarah Kramer bei Frikadellen und Pils im „Maschinchen Buntes“ verfolgt. Dort habe die Stimmung vorgeherrscht: „Das kann doch nicht wahr sein.“ Regelrecht „geschockt“ ist Büteführ von der niedrigen Wahlbeteiligung. Sie lag in Witten bei knapp 56 Prozent.
SPD-Kandidatin für Witten ist persönlich „happy“
Persönlich sei sie „happy“, es wieder in den Landtag geschafft zu haben. Das schlechte Gesamtabschneiden ihrer Partei führt die SPD-Politikerin nicht nur, aber auch auf bundespolitische Effekte zurück. „Der Kanzler kann momentan machen, was er will. Alles ist falsch.“ Trotzdem hätte sie nicht gedacht, „dass es auch im Ruhrgebiet so eng wird“. Nun müsse man sich erst einmal sortieren. Büteführ hält eine Ampel mit den Grünen und der FDP noch für möglich, obwohl die CDU klar die stärkste Partei im Lande wurde. „Grün und Schwarz, das passt nicht.“
Sich selbst habe sie sich nichts vorzuwerfen. Wann immer möglich, sei sie vor Ort. Gleichzeitig sei es schwer, aus der Opposition heraus konkrete Erfolge für Städte wie Witten zu erzielen. CDU-Parteichef Ulrich Oberste Padtberg hatte ihr vorgeworfen, dass Witten noch nie so schlecht in Düsseldorf vertreten worden sei.
Nun, eine Wittenerin wird mit Sicherheit ein gewichtiges Wörtchen im Land mitreden. Verena Schäffer (35) von den Grünen, die nach drei Legislaturperioden zum vierten Mal antrat und wieder über die Landesliste ins Parlament einzieht, hat mit 22,7 Prozent ein Traumergebnis erzielt. Damit konnte sie das gute Ergebnis ihrer Partei in Witten und im Land sogar noch toppen.
Während Schäffer als Fraktionschefin den großen Sieg ihrer Partei mit Landeschefin Mona Neubaur in Düsseldorf feierte, genoss die Basis der Grünen bei Pizza, Bier und Limo im Roxi an der Wiesenstraße das sensationelle Abschneiden. „Es wurde aber auch viel überlegt und diskutiert, wie es jetzt weitergeht“, sagt Geschäftsführer Jan Dickerboom (43). Er macht keinen Hehl daraus, dass die Partei in Witten Rot-Grün als Regierung favorisiert hätte. „Die anderen Optionen lösen keine so große Begeisterung aus.“
Vorbehalte bei den Wittener Grünen gegen die CDU
Die einen erinnerten sich laut Dickerboom noch an die „Kulturkämpfe“ mit der Union in den Achtzigern, als es um Themen wie Atomkraftwerke und die Startbahn West ging. Die anderen sagten: „Die CDU ist die stärkste Partei, sie soll uns mal ein Angebot machen.“ Mit einem Wahlverlierer Kutschaty als Ministerpräsident hätte der Grüne keine Probleme. Eine Ampel sei genau so wie andere in Frage kommende Konstellationen durch eine demokratische Mehrheit legitimiert.
Nicht gut zu sprechen auf die Landespartei ist derweil FDP-Kandidat Enric Tange, der mit 3,6 Prozent noch schlechter als seine Partei (5,2) in Witten abschnitt. „Viele wussten nicht, wofür die FDP steht“, kritisiert er eine „fehlerhafte Kommunikation“. Auch die Schulpolitik habe sich negativ ausgewirkt, wie zuletzt noch der Rückruf der Corona-Tests in den Schulen. Fazit des 22-Jährigen, der weiter für seine Partei kämpfen will: „Ich hoffe, es werden die richtigen Schlüsse daraus gezogen.“