Witten. Der Krieg in der Ukraine erschüttert auch die Schwestern des Karmelitinnenklosters in Witten. Ihre Verbindung nach Osteuropa ist besonders eng.
Der Krieg in der Ukraine erschüttert auch die Schwestern des Karmelitinnenklosters in Witten. Sie haben Wurzeln in den früheren Sowjetrepubliken.
Klostervorsteherin („Priorin“) ist Schwester Teresa, die gebürtige Litauerin Dalia Tamošaitytė. Ihre Vorgängerin, Schwester Anna Maria, wuchs in Kasachstan auf, das die heute 63-Jährige als Russlanddeutsche mit ihren Eltern und Geschwistern 1979 verließ. Schwester Teresa weiß, dass Flüchtlinge aus der Ukraine nun auch in ihrem früheren Heimatland Litauen Schutz suchen. „Kinder, Frauen. Sie möchten nichts erzählen, so sehr sind sie schockiert von den Erlebnissen. Gott gebe, dass diese furchtbare Situation bald vorbei ist.“
Die 66-Jährige erinnert daran, dass Litauen auch eine Grenze mit Belarus habe. Sie sieht die Gefahr, dass ihr Heimatland ebenfalls angegriffen wird. „Ich sorge mich um Litauen. In diesen Tagen bete ich besonders für mein Vaterland und ganz Europa.“
Priorin des Karmelitinnen-Klosters in Witten mahnt, Russen dürften jetzt nicht ausgegrenzt werden
In Litauens Kirchen seien viele Kollekten für die Ukraine gesammelt worden, auch Hilfsgüter, die in die Ukraine gebracht wurden. Die Priorin denkt in diesen Tagen auch an die Menschen aus Russland. Diese dürften jetzt nicht ausgegrenzt werden. „Das wäre unmenschlich und unchristlich.“ Dann fügt sie hinzu: „Möge der Herr solche Grausamkeiten wie den Tod von unschuldigen Kindern stoppen.“
Ihre Mitschwester Anna Maria hat das Wittener Kloster, das man in der Straße „Auf der Klippe“ findet, von Dezember 2007 bis Februar 2020 als Priorin geleitet. „Ich bin enttäuscht und traurig, dass es im 21. Jahrhundert nicht möglich ist, eine friedliche Lösung der Konflikte ohne Gewalt, Blutvergießen und Zerstörung zu finden“, sagt die Nonne. Sie erinnert an Papst Franziskus, der gesagt habe: „In jedem Konflikt sind die einfachen Menschen die wahren Verlierer, die mit ihrer eigenen Haut den Wahnsinn des Krieges bezahlen.“
Auch Ordensschwestern aus der Ukraine haben ihr Land verlassen
Schwester Anna Maria hat Freunde, die aus der Ukraine stammen, die in Witten und anderen Städten in NRW leben und mit ihr über die schrecklichen Ereignisse in ihrer Heimat sprechen. „Ich fühle und leide mit ihnen mit.“ Diese Menschen hätten Verwandte und Freunde in der Ukraine, „die alles verloren haben, die vor den Ruinen ihres Hauses und ihres verletzten Herzens stehen“. Freunde der Wittener Ordensschwester organisieren Transporte mit Medikamenten und Lebensmitteln. Im Land gebe es auch zwei Karmelitinnen-Klöster – eines in der Hauptstadt Kiew, das andere in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, die in diesen Tagen besonders unter dem russischen Bombardement leidet.
Einige Schwestern aus der Ukraine seien nach Polen gegangen, andere in ihren Klöstern geblieben. Schwester Anna Maria hat eine Freundin gebeten, einen Kontakt zu den Nonnen in Charkiw herzustellen. Die frühere Priorin hat auch Freunde, die aus Russland und der ehemaligen Sowjetrepublik Kasachstan stammen und jetzt in Deutschland leben. „Auch sie leiden unter dieser schrecklichen Situation und organisieren Transporte in die Ukraine, um das furchtbare Leid der Menschen ein wenig zu lindern.“
Ordensschwester: „Wir entscheiden über Gut und Böse, über das, was wir tun“
Auf die Frage, wie Gott derartiges Leid überhaupt zulassen könne, antwortet Schwester Anna Maria, dass die Welt nicht dem Zufall überlassen sei. „Sie ist in Gottes Hand!” Gott habe den Menschen den freien Willen gelassen, erklärt sie. „Wir entscheiden über Gut und Böse, über das, was wir tun. Wenn wir über andere Menschen Macht ausüben, sie quälen oder gar töten, dann ist das unser Werk.“ Gott sehe dies und leide mit. „Er will das Böse nicht.“
Die 63-Jährige stimmt dem zu, was Anba Damian, Bischof der Koptisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland, anlässlich des Krieges in der Ukraine sagte. „Es gibt keine Rechtfertigung für den Krieg und keinen Grund, den Weltfrieden auf solch radikale Weise, wie wir sie jetzt erleben, zu zerstören.“ Die Wittener Nonne ist zweisprachig aufgewachsen, mit Deutsch und Russisch. „Es bewegt mich sehr, dass jetzt in der Sprache, die ich von Kindheit an spreche, Kriegsbefehle erteilt werden.“
Der Pfarrer in Kasachstan stammte aus der Ukraine
Im Kloster im Ardeygebirge leben elf Schwestern
Flucht und Vertreibung, das haben auch die früheren Nonnen des Wittener Klosters erlebt und erlitten. Klostergründerin war Mutter Marianna de Deo, geborene Marianna Gräfin Praschma. Sie hatte in den 30er Jahren bereits ein Kloster in Pawelwitz bei Breslau (Schlesien) gegründet, das die Schwestern während des Zweiten Weltkrieges verlassen mussten. 1946 kehrten die Nonnen als Vertriebene in den Westen zurück. 1952 wurde von Schwester Marianna de Deo der Grundstein für das Karmelitinnen-Kloster im Ardeygebirge gelegt. Heute leben dort elf Schwestern. Die jüngste ist 51, die älteste 90 Jahre alt. Es handelt sich um einen kontemplativen Frauenorden. Die Schwestern arbeiten nicht in Schulen oder Kliniken. Sie leben in Klausur, abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Es gibt aber öffentliche Messen in der Klosterkirche.
Dann erinnert sich die Schwester an Pater Georg Potereiko, den Pfarrer in ihrer Kindheit. „Ein Ordensmann aus der Ukraine, der nach dem Gefängnis als Untergrund-Priester tätig war.“ Er habe heimlich ihre Familie besucht und diese im Glauben unterrichtet. Denn öffentlich habe die Familie im damaligen Kasachstan ihren Glauben nicht leben können. Gemeinsam habe man mit dem Pater auch ukrainische Lieder gesungen. Schwester Anna Maria: „So war ich schon als Kind den Ukrainern verbunden.“