Witten. Die Familie eines demenzkranken Witteners (75) erhebt Vorwürfe gegen eine Klinik. Wurde er trotz Patientenverfügung ohne Zustimmung operiert?

Arnold Klingenhagen hatte eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht. Der 75-jährige Wittener vertraute darauf, dass umgesetzt wird, was er darin entschieden hatte. Doch obwohl eine Operation nur mit Zustimmung seiner Angehörigen erfolgen sollte, erhielt der seit sechs Jahren an Demenz Erkrankte einen künstlichen Darmausgang – ohne dass Ehefrau und Tochter darüber informiert wurden.

Schwere Vorwürfe erheben Monika Klingenhagen (70) und Angela Busch (53) nun gegen die Klinik. Sieben Wochen habe ihr Ehemann und Vater leiden müssen. Er ist am 14. Februar verstorben.

Dieses Foto ihres verstorbenen Mannes Arnold hat Monika Klingenhagen im Wohnzimmer aufgestellt.
Dieses Foto ihres verstorbenen Mannes Arnold hat Monika Klingenhagen im Wohnzimmer aufgestellt. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Eines Abends habe ihr Mann über heftige Bauchschmerzen geklagt. Im Krankenhaus sei eine Darmentzündung diagnostiziert worden. Damit könne man gut leben und alt werden, erfuhr Monika Klingenhagen. Weil sie ihren Mann wegen Corona nicht besuchen konnte, rief die Ehefrau regelmäßig im Krankenhaus an. Dort habe man ihr eines Tages gesagt, dass er die Operation ganz gut überstanden habe.

Wittener Ehefrau: Wurde nicht über OP informiert

„Ich war wie vor den Kopf geschlagen“, sagt Monika Klingenhagen. Denn von einer OP habe sie nichts gewusst. „Niemand hat uns verständigt, wie es eigentlich vorgesehen war.“ Der Klinik hätten die mit der Hausärztin aufgesetzte Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht vorgelegen, in der genau dies geregelt gewesen sei. „Mein Vater hätte diese OP nicht gewollt und er war nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu fällen“, sagt Angela Busch, die examinierte Altenpflegerin ist. Von Seiten der Klinik habe es geheißen, ihr Vater sei aufgeklärt worden und hätte eingewilligt.

Doch entsprechende Papiere liegen offenbar nicht vor. Dafür jenes Schreiben mit einem Satz, über den sich Angela Busch wundert. Er lautet: „Die Anamnese gestaltete sich erschwert bei beginnender Demenz.“ Im Entlassbrief dagegen steht: „Nach der entsprechenden Vorbereitung und Aufklärung konnte die (...) OP durchgeführt werden.“ Ein Widerspruch?

Was die Deutsche Stiftung Patientenschutz sagt

Auch Patienten mit Demenz hätten ein Recht auf Selbstbestimmung, heißt es von Expertenseite. Ebenso sei es der Auftrag der Mediziner, Leiden zu lindern. Juristisch betrachtet ist das Dilemma offenbar nicht leicht zu lösen. „Wofür haben wir denn dann überhaupt eine Patientenverfügung gemacht?“, fragt Monika Klingenhagen ihrerseits.

Staatsanwaltschaft stellt Verfahren ein

Nach dem Tod des Witteners war Strafanzeige gestellt worden. Die Polizei ermittelte. Doch die Staatsanwaltschaft Bochum hat das Verfahren eingestellt. Inzwischen hat der Anwalt der Familie Rechtsbeschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm eingelegt. Ob es zu einer Anklage kommt, sei derzeit ungewiss, sagt er.Auf Anfrage unserer Redaktion wollte sich die Klinik nicht äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt.

„Eine Patientenverfügung steht und fällt mit der Entscheidungs- und Geschäftsfähigkeit“, sagt eine Beraterin der Deutschen Stiftung Patientenschutz aus Dortmund. Der Unterschied: Erstere drehe sich darum, was im Krankheitsfall überhaupt gemacht werden soll oder eben nicht. Bei der Geschäftsfähigkeit dagegen gehe es darum, ob der Betreffende sich der Tragweite seiner Entscheidung bewusst sei. Beides könne bei Demenz eigentlich nur ein Facharzt entscheiden, so die Beraterin. Dennoch müsse die Patientenverfügung nicht etwa ein entsprechendes Gutachten enthalten.

Patientenverfügung jährlich aktualisieren

Die Beraterin der Stiftung sagt aber auch: „Ein Mediziner ist verpflichtet, genau hinzuhören.“ Wenn nur der leiseste Zweifel über den Geisteszustand des Patienten bestehe, müsse er ebenfalls einen Facharzt hinzuziehen. Nur dieser könne klären, ob der Patient vor einer Operation selbst eine klare Aussage treffen kann. „Bei dementen Patienten würde ich als Arzt auch immer Angehörige hinzuziehen.“ Was die Beraterin der Deutschen Stiftung Patientenschutz auf jeden Fall empfiehlt: Die Patientenverfügung jedes Jahr zu überprüfen und mit einer erneuten Unterschrift zu aktualisieren.

Monika Klingenhagen und ihre Tochter haben inzwischen einen Anwalt eingeschaltet. Ihr selbst gehe es nicht um Schmerzensgeld, sondern um Gerechtigkeit und mehr Menschlichkeit im Umgang vor allem mit Älteren, die am Lebensende oft überversorgt würden. Tochter Angela sagt: „Wir haben den Ärzten vertraut und mein Vater hat uns vertraut.“ Dass sie ihm nicht helfen konnte, lässt ihr keine Ruhe.