Am Donnerstag erscheint das Buch „Patient ohne Verfügung – das Geschäft mit dem Lebensende“. Geschrieben hat es der Wittener Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns (49). Wir sprachen mit ihm.
Man könnte Ihnen vorwerfen, Sie wollten mit dem Buch nur Kasse machen. Was sagen Sie denen?
Thöns: Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe tatsächlich große Angst, dass mir die Kliniken nach der Veröffentlichung keine Patienten mehr zuweisen. Aber ich hoffe, dass ich im Gegenzug ganz viele Hausärzte mit ins Boot holen kann.
Das Buch ist also ein Risiko für Sie. Warum wagen Sie es?
Weil ich mich über das System ärgere, seitdem ich Palliativmediziner geworden bin. Die Versorgung in mancher Klinik ist nicht so, wie man sie sich für seine eigenen Eltern oder Großeltern wünschen würde. Tatsächlich lehnen ja auch 90 Prozent aller Ärzte eine aggressive Therapie am Lebensende ab – aber leider nur für sich selbst. Aber natürlich habe ich mit meinem Team vor der Veröffentlichung gesprochen. Alle haben gesagt: „Mach es bitte, die Zustände sind einfach entsetzlich.“
Ihre Vorwürfe wiegen schwer. Sie meinen offenbar nicht nur einzelne schwarze Schafe im weißen Kittel, sondern eine ganze Herde...
Ja, da läuft etwas in unserer Gesellschaft schief. Fatale Gewinnanreize für die Kliniken führen zu einer qualvollen Fehlversorgung. Alle wissen es und viele machen mit: Rund 40 Prozent der Chef-Chirurgen geben sogar zu, Operationen durchzuführen, die eigentlich nicht nötig sind. Um das ganz klar zu sagen: Das sind Straftaten! Und wir reden hier nicht über Parken im Halteverbot, sondern über Körperverletzung – wenn’s schlecht läuft mit Todesfolge.
Sie sagen, der Wille der Patienten werde dabei wissentlich missachtet, um Kasse zu machen.
Um das zu belegen, habe ich einen fingierten Brief an 254 Pflegedienste geschrieben, in dem ich sie bitte, einen „wohlhabenden Onkel, der im Koma liegt“, gegen seine ausdrückliche Patientenverfügung weiter zu behandeln. 90 Prozent der Angeschriebenen unterstützten das Anliegen ohne Wenn und Aber – auch sie wären streng genommen Straftäter.
Ihre Beispiele sind erschreckend, ihr Fazit ist bedrückend. Was kann ich als Patient denn tun, damit ich im Falle eines Falles nicht in die Mühlen des Gesundheitssystems gerate?
Bestehen Sie auf eine Zweitmeinung in einer anderen Klinik oder bei Ihrem Hausarzt. Das ist Ihr gutes Recht. Leider wird so ein Zweitgutachten von den Kassen sehr schlecht honoriert, sonst würde man schneller einen Termin dafür bekommen – und 60 Prozent der Operationen könnten verhindert werden. Zweitens: Kümmern Sie sich rechtzeitig nicht nur um eine Patientenverfügung, sondern auch um einen hartnäckigen Vorsorge-Bevollmächtigten, der Ihren Willen durchsetzen kann und sich nicht von den Halbgöttern in Weiß beschwatzen lässt.